23. Treffen der am Naturschutz Interessierten im DAV vom 2. bis 5. Juni 2011 im Harpprechthaus in Lenningen – Schopfloch

Autor: Volker Beer

Bei bestem Reisewetter fahren Rainer Kunzmann und ich zum Treffen. Die Autobahnen sind frei und so erreichen wir schon im frühen Nachmittag die Herberge. Bis zur Eröffnung des Treffens verbleibt genügend Zeit um eine kurze Wanderung zu unternehmen. Weit und offen liegt die Alb vor uns. Magerwiesen, die von Schafen beweidet werden. Wachholderbüsche und Buchenwälder. Schmale Felder mit Roggen und Gerste, Futterwiesen reihen sich exakt aneinander, massenhaft blühen der Wiesenknöterich und die Rote Lichtnelke, Kleeteufel am Feldrain. Dazwischen saubere, befestigte Rad- und Wanderwege.
Nach der Zimmerverteilung wird das Treffen von Gerhard Hermann, Leiter der Gruppe Natur und Umwelt der Sektion Schwaben eröffnet. Er stellt uns die Sektion und die Arbeit der Umweltaktiven vor. Anschließend spricht Herr Dr. Wilhelm Schloz, Vorsitzender der Sektion Schwaben. Er gibt einen Überblick zu den beiden Hauptthemen des Treffens, Stuttgart 21 und Biosphärengebiet Schwäbische Alb und hält ein interessantes Referat zum Thema „Wer schützt die Alpen?“.

Der Alpenraum beherbergt 34 % der europäischen Flora
900 Pflanzengattungen
15 Reptilienarten
21 Amphibienarten
80 Fischarten
80 Säugerarten
200 Vogelarten

11 Organisationen sind europaweit für den Schutz der Alpennatur bedeutsam
Wichtigstes Vertragswerk ist die Alpenkonvention: Ein Staatsvertrag zwischen den 8 Alpenländern und der EU, der am 7. November 1991 in Salzburg unterzeichnet wurde und seit dem 6. März 1995 in Kraft ist.

In den Alpen existieren zur Zeit

14 Nationalparks
70 Naturparks
300 Naturschutzgebiete
10 Biosphärenreservate
3 UNESCO Weltnaturerbegebiete
2 geologische Reservate

Herr Manfred Berger, Vorsitzender des Bundesausschusses Natur- und Umweltschutz berichtet vom Hauptverband:

Herr Klenner, 1. Vorsitzender des HV setzt sich aktiv für den Naturschutz ein
Seit drei Jahren wird am neuen Grundsatzprogramm gearbeitet. Es soll im Herbst 2011 in Kraft treten und im Jahr 2012 erscheinen.
Die Mitgliedschaft der Naturschutzreferenten in den Sektionsvorständen wird empfohlen.
Weiterhin wird die Umweltarbeit in den Heimatregionen der Sektionen als auch in den Alpen darin verankert.
Das seit 10 Jahren bestehende Leitbild des DAV wird ebenfalls überarbeitet und aktualisiert.

Am nächsten Morgen erwartet uns der Exkursionsbus. Wir fahren nach Stuttgart zum Hauptbahnhof. Heutiges Schwerpunktthema ist „Stuttgart 21“, die Umgestaltung des Bahnhofes. Im Turm nehmen wir an einer professionell, aufwändig und werbewirksam gestalteten Präsentation dieses Vorhabens teil. Die Vorzüge werden am aufwändig gestalteten, beweglichen Modell des Bahnhofes und anhand werbewirksamer Multimediapräsentationen dargelegt. Aus städtebaulicher Sicht kann Stuttgart nur gewinnen. Einige triste Nachkriegsfunktionsgebäude, ein Teil der bestehenden Bahnhofsgebäude und nicht zuletzt ein Großteil des angrenzenden Parks einschließlich der alten Platanen müssten den geplanten Neubauten weichen. Treppenwitz im Schlichtungsverfahren, Herr Geisler von der CSU will die Bäume mit 1,50 m Stammdurchmesser umpflanzen. Beim Erhalt der Bäume setzt der Widerspruch der Projektgegner an. Aber die echten Probleme verbergen sich im Boden unter der Stadt. Die Geologen Wilhelm Schloz und Dieter Nagel legen uns diese nach dem Rundgang dar. Kalkgestein, wasserfreie Anhydritschichten, die bei Kontakt mit Wasser aufquellen, Hohlraumbildung durch Auslaugung des Kalkgesteins, verschiedene Grundwasserleiter unterschiedlicher hydrostatischer Drücke bestimmen den Baugrund. Außerdem gibt es noch verschiedene Mineralquellen. Für das Bauvorhaben müsste massiv in den Grundwasserhaushalt eingegriffen werden. Die Folgen sind derzeit nicht absehbar.
Nun gehen wir durch den Park. Dort haben die Gegner ein Zeltlager aufgeschlagen und viele Tafeln mit Protestschriften aufgestellt. Ich gehe ein paar Schritte von der Gruppe in einen abzweigenden Weg um einen dieser Aufsteller aus der Nähe zu fotografieren. Kaum habe ich den Fotoapparat geöffnet, da wird unvermittelt von hinten am Trageriemen gerissen und ich werde von einer Person heftig verbal attackiert. Das Fotografieren sei hier verboten … Den Apparat halte ich krampfhaft fest, fixiere den Angreifer im Blick und beginne laut zu rufen „Bitte belästigen sie mich nicht, lassen sie den Apparat los, ich rufe die Polizei ..“ Dabei trete ich langsam rückwärts laufend zur Gruppe zurück. Der Angreifer lässt ab und entschwindet. Wir gehen zum Bus. Ein anderer Protestlagerteilnehmer eilt uns hinterher, entschuldigt sich für den kleinen Zwischenfall und beteuert, das die Stuttgart 21 – Gegner keine Kleinkriminellen seien.
Nun besichtigen wir die Leuzequelle, eine Mineralquelle im Stuttgarter Stadtgebiet. Es gibt mehrere Heilquellen mit Salzfrachten von 3 bis 8 g pro Liter. Alle enthalten große Mengen an gelöstem Kohlendioxid. Das Wasser schmeckt deutlich säuerlich und das entweichende Kohlendioxid prickelt im Mund. Nach der kurzen Besichtigung einer Brückenbaustelle der Schnellbahnstrecke Wendlingen – Ulm kommt nun der Naturaspekt zum Tragen. Wir besuchen das Randecker Maar und fahren zum Naturschutzzentrum Schopflocher Alb. Ein modernes, aus natürlichen Baustoffen errichtetes, lichtdurchflutetes und energiesparend ausgeführtes Gebäude empfängt uns. Die Ausstellung ist hervorragend gestaltet. Ein fast mannshohes Modell des Albtraufes zieht sich durch den großen Ausstellungsraum. Hier heißt es nicht „Berühren verboten“ sondern genau das Gegenteil, anfassen erwünscht. Das Modell ist interaktiv. Es lassen sich allerlei Schubladen öffnen, die verschiedenste Exponate und interessante Erläuterungen zum Naturraum enthalten. Man kann Vogelstimmen verhören, Lesetexte, Bildtafeln öffnen, mit einer Pumpe Grundwasser zirkulieren oder an der Kurbel Hochmoore entstehen lassen. Dazu gibt es im Haus Vortrags- und Seminarräume, ein Kinderspielzimmer und nicht zuletzt werden in einem kleinen Ladengeschäft regionale Produkte angeboten. Das Naturschutzzentrum umfasst auch einen stillgelegten Steinbruch, wo einst der helle Kalkstein des Weißen Jura gebrochen wurde. Er ist von hellgelber Farbe, sehr fest und wurde als Schopflocher Marmor gehandelt. Das Gestein wurde hier nicht von Korallen, sondern von Meeresschwämmen gebildet und so wird es auch „Schwammstotzen“ genannt. Nun wandern wir entlang des Albtraufes zurück zum Schopfloch. Üppige, reiche Buchenwälder umfangen uns. Waldmeister, Grüne Nieswurz, Einbeere … reich präsentiert sich die Bodenvegetation. Auf so manche Felskanzel können wir hinaustreten. Steil bricht das Kalkriff bis zu 90 Metern in die Tiefe ab. Phantastische Fernblicke über das weite Land öffnen sich. Vor uns ragt der Heimenstein, schlanke Felsnadel mit reicher sukkulenter Felskopfvegetation. Einst ein Klettergipfel, heute den brütenden Vögeln, der Natur vorbehalten.
Am Abend sitzen wir noch lange beisammen. Heftig und emotional brandet die Diskussion. Stuttgart 21 ist das Thema. Gerhard Hermann stellt es uns aus der Sicht der Projektgegner vor. Es wird um die Landes- und Bundespolitik debattiert. Wird diese wirklich von Politikern und Parteien gestaltet? Wohl kaum, ich kann mich nicht dem Eindruck erwehren, die Politiker und Parlamente sind längst Marionettentheater in den Händen der Finanzoligarchie. Stuttgart 21 wird wohl realisiert werden, in Leipzig haben wir schon unseren „Sinnlostunnel“ pardon City – Tunnel.
Wieder nehmen wir im komfortablen Reisebus Platz. Heute steht die Natur im Mittelpunkt der Exkursion. Wir fahren nach Münsingen, wo wir das Biosphärengebiet Schwäbische Alb besuchen. Den Kernbereich bildet ein ehemaliger Truppenübungsplatz. Eine extensive Weidewirtschaft vermittelt das Bild der alten historisch gewachsenen bäuerlichen Kulturlandschaft. Magerrasen und Waldstreifen, Baum- und Wachholdergruppen breiten sich vor uns aus. Breite, befestigte Rad- und Wanderwege durchziehen das weite, offene Gelände. Gelbe Rauten markieren den Weg. Verlassen strengstens verboten, denn unter der Grasnarbe können noch Blindgänger und Munition zurückliegender militärischer Nutzung lauern. Einige der vormaligen Militärgebäude und eine Panzerstraße werden heute von der Automobilindustrie genutzt. Geheime Forschungsvorhaben, geheime Testfahrten. Diese Objekte sind solcherart gut gesichert, das man meinen könnte, der geheime Atombunker verblichener DDR – Regierung sei ein öffentliches Bauwerk gewesen. Wir wandern durch die weite sonnengeflutete Landschaft zum Dorf Gruorn, oder besser, was die zurückliegende militärische Nutzung von diesem Dorf übrig ließ. Die schöne mittelalterliche Stephanuskirche und das alte, aus Kalktuff errichtete Schulgebäude. Letzteres beherbergt eine kleine interessante Ausstellung über das einstige Dorfleben auf der Alb und einen Ausschank der regionale Getränke und Speisen feilbietet.
Im Nachmittag besuchen wir das Biosphärenhotel Herrmann in Münsingen. Regionale Küche, regionale Baumaterialien für das Gebäude, Möbel vom regionalen, rotkernigen Buchenholz sind sein Markenzeichen. Wir verkosten verschiedene regionale Speisen. Der Leiter des Hauses referiert über regionale Produkte, den Mehraufwand für deren Erzeugung und Verarbeitung, den daraus resultierenden Aufpreis, die Probleme der Klein- und Mittelständler, die im regionalen Sektor tätig sind und nicht zuletzt über den wohlgeneigten Gast, der gern bereit sei, für diese Produkte und Dienstleistungen sein Portemonnaie ganz weit zu öffnen.
Am Abend berichten wir über unsere eigenen Aktivitäten in den Umweltgruppen der Sektionen. Diskutieren die verschiedensten Probleme, können Erfahrungen weitergeben. Eine interessante Diskussion, die erst endet, als die Wirtsleut zu später Stund die Nachtruhe einläuten. Ein gelungenes, interessantes Treffen, ein herzlicher Dank allen Organisatoren, Referenten und Mitwirkenden der Sektion Schwaben.