Drei Gipfeltouren im Dauphine (2012)

Autor: Andrea Blüthner


Wenn in der heimischen Sächsischen Schweiz von einem „Klassiker“ die Rede ist, ahne ich, dass es sich um einen, zu mindestens für mich, nicht ganz mühelos zu bewältigenden Weg seiner Schwierigkeitsklasse handelt. Oft fand ich mich dann schwitzend in einem Kamin wieder – eben in einem „Klassiker“.
Die ASD-Urlaubs-Kletterfahrt 2012(siehe Bericht von Bernd Mulansky) bot uns Gelegenheit, drei echte alpine Klassiker kennenzulernen. Die Klassiker im Dauphine sind ausnahmslos steil, lang, also anstrengend und erfordern ein großes Maß an Ortskenntnis und Orientierungsvermögen. Zum Glück gab es Varianten, kürzer und ohne heikle Stellen – Genusstouren wie für uns gemacht.
Auf dem Gebietsführer zeigt sich die Barre des Ecrin von ihrer fotogenen, nämlich der nördlichen Seite. Wie alle Schönen dieser Welt, versteckt sie sich in Gebietsmitte, sodass sich uns dieser imposante Anblick erst vom Refuge des Ecrin bot, also nach einem ordentlichen Hüttenanstieg. Wir waren nachmittags zur Hütte aufgestiegen, um am nächsten Tag den südlichsten 4000-er der Alpen zu besteigen. Von der Terrasse aus ist westlich vom Hauptgipfel(4101m) der Dome de Neige (4015m), der sogenannten Wintergipfel, unser Ziel für den nächsten Tag, zu sehen. Weil häufig begangen können wir die Aufstiegsspur über den Glacier Blanc und in der Nordflanke des Gipfels gut erkennen. 3-4 Stunden werden wir bis auf den Dom de Neige benötigen. Den Hauptgipfel erreicht man aus der Nordflanke über den Westgrat, wobei die Überwindung des Bergschrunds offenbar die Hauptschwierigkeit darstellt. Wir beschließen, uns das vor Ort anzusehen, falls am nächsten Tag stabiles Wetter ist. Nach dem frühen Abendessen (ein vorzügliches 3-Gängemenü) kriechen wir in die Schlafsäcke, denn Frühstück war für 3 Uhr angekündigt. Entgegen allen Befürchtungen(in den Führern wird von hoffnungslos überbelegten Hütten berichtet) ist die Hütte zwar gut besucht, jedoch bei Weiten nicht überfüllt. Diese Erfahrung machten wir im Übrigen auch auf den anderen Hütten, die wir besuchen. Wir erklären uns das damit, dass seit Erscheinen der Gebietsführer(1988) mit den vielen gut eingerichteten Sportkletterrouten im Tal möglicherweise Alternativziele vorhanden sind. Uns freut´s, denn so genießen wir eine erholsame Nacht. Mit meinen spärlichen Französischkenntnissen hatte ich die Hüttenplätze nebst Halbpension telefonisch bestellt und die Freunde hofften bis zuletzt, ich könnte mich verhört haben bei der Bekanntgabe Weckzeit – pünktlich erschien jedoch der Hüttenwirt im Schlafsaal: „C´est trois heure!“- kein Erbarmen. Nach dem Frühstück Klettergurt anlegen und Abstieg zum Gletscher. Wir sind 3 x 4 Leute. Wie es sich für eine eitle Schöne gehört: der Gipfel versteckt sich in der einzigen Wolke weit und breit. Natürlich hatten wir auch das vorher gewußt, denn Carola, unsere Meteorologin, hat dies vorausgesagt. Das stört uns zunächst wenig, denn wir genießen beim Marsch über den Gletscher die wie eine Girlande blinkende Reihe der Stirnlampen vor uns, die langsam aufgehende Sonne und die damit verbundenen Lichtspiele. Mit steigender Höhe geraten wir in die Wolke und die Sicht verkürzt sich. Statt der nun fehlenden Fernsicht bieten sich uns beeindruckende Blicke in Spalten und Eisbrüche und das eine oder andere coole Foto entsteht. Glücklich stehen wir bald alle auf dem Dome de Neige, mitten in einer „Waschküche“, die hin und wieder für einige Sekunden auf reist, für einen Blick in die Ferne oder einen Schnappschuss. Da muss ich an eine befreundete Ethnologin denken, die meinte, der kurze zufällige Blick auf die Fesseln einer schönen, völlig mit einer Burka verhüllten Frau, kann erotischer sein, als so manches freizügige Foto.
Der Abstieg geht schnell und bald stehen wir wieder im Sonnenschein auf dem Glacier Blanc unterhalb der Hütte und blicken zurück auf unseren schönen Gipfel, dessen Spitze immer noch in einer Wolke steckt und ein herrliches Bergerlebnis.

Pelvoux heißt das Dauphine im französischen Sprachraum. Der namensgebende Gipfel (Mont Pelvoux, 3946m) ist schon von weitem aus groß und stolz zu sehen. Für uns war es der Abenteuerliche. Wir (zu sechst) waren am Vortag zur Pelvoux-Hütte aufgestiegen. Stabiles Schönwetter versprach eine Bilderbuchtour, mahnte jedoch auch zum frühen Aufbruch, denn vor Mittag wollten wir wieder an der Hütte sein. Der Normalweg führte uns von Süden durch das Coolige Couloir auf den Haupt-Gipfel. Der Pelvoux besteht aus mehreren Felsgipfeln, die sich um ein Firnplateau gruppieren. Darunter auch der Petit Pelvoux auf den ein interessanter Südgrat (IV) führt, den Hanickes einige Tage später kletterten. Wir genießen eine großartige Aussicht und steigen auf dem gleichen Weg ab. Das Couloir ist eine ca. 35° steile Eisrinne – der Aufstieg war eindeutig leichter. Am Ende des Eisfeldes verstauen wir die Steigeisen und steigen im Fels ab. Die Hütte schon im Blick, rasten wir noch einmal, als es plötzlich rumpelt. Naja, ein Steinschlag, der glücklich an uns vorbeiging…………….aber nein, es hört gar nicht wieder auf. Es dröhnt und poltert und wir stellen fest, dass in der Schlucht, die uns von der Hütte trennt, eine Schlamm-Mure zu Tal geht. Die Eis-, Wasser- und Steinmassen kommen von einem Gletscherbruch oberhalb. Nachdem wir eine geraume Zeit das Geschehen beobachten, wird uns klar: so schnell kommen wir da nicht rüber. Ein Blick in die Karte sagt uns außerdem, dass wir über die steilen Abbrüche weder die ebenfalls sichtbare Sele-Hütte noch das Tal erreichen können. Zunächst sind wir beruhigt, dass das Wetter stabil ist, wir ausreichend Biwaksäcke, warme Sachen und die Grundlage für ein abwechslungsreiches Abendmenü (halbe Büchse Schmalzfleich, diverse Riegel, Apfel, Möhre und einige übriggebliebene Pausenbrote, Wasser kommt von oben) dabei haben. Nach 2 Stunden wird das Ausharren jedoch langweilig und wir wenden unsere Kenntnisse bezüglich des alpinen Notsignals an. Tatsächlich werden der im Wind wehende Biwaksack und die Pfeifensignale vom Hüttenwirt beantwortet. Nun ordnen wir unsere Sachen und schaffen es gerade noch vorsorglich die Klettergurte anzulegen, als der Hubschrauber der Gendarmerie angebraust kommt. Alles Weitere geschieht in höchster Präzision und atemberaubender Geschwindigkeit. Ein Helfer wird abgesetzt, der sich einen Überblick über die Lage verschafft und uns einweist – beim 2. Anflug landet der Hubschrauber auf einer Kufe und nimmt die ersten Drei mit – vor der Pelvoux-Hütte wartet ein weiterer Helfer und der Hüttenwirt, die uns beim Aussteigen mit fester Hand zunächst auf den Boden drücken und schon ist der Hubschrauber wieder in der Luft und holt die Nächsten. Auf diesen Schreck müssen wir erst einmal mit einem Bier anstoßen, bevor wir zum Zeltplatz absteigen.
Die Meje, der zweithöchste Berg der Dauphine-Alpen ist ein weiterer Klassiker im Gebiet mit großartigen Felsrouten und einer berühmten Überschreitung. Von Süden für uns absolut unnahbar zeigte sie sich von Norden aus von ihrer sanfteren Seite. Von La Grave war ich mit Bernhard zum See Goldeon durch ein herrliches Tal gewandert, wo wir übernachteten. Von dort hatten wir einen herrlichen Blick auf die Nordseite der Meije, die sich majestätisch im See spiegelt. Im Abendrot versuchten wir, auf dem Gletscher die Stelle zu erkennen, wo die Adlerhütte (3450m) stehen muss. Sollte uns der Gipfel verwehrt bleiben, müsste doch zumindest der Aufstieg zur Hütte eine lohnende Tour für uns darstellen.
Der Aufstieg zur Hütte allein ist schon eine ernstzunehmende Bergtour von 1850 Hm. Der Charme des am nächsten Tag folgenden Gipfelanstiegs besteht darin, dass man dann die Hauptarbeit schon erledigt hat. Der Aufstieg erfolgt zunächst über Wiesenrücken, später über Geröll- und Eisfelder bevor man in leichter Kletterei einen Grat erreicht. Der Weg ist sehr gut markiert und bei gutem Wetter unproblematisch. Nach ca. 100Hm wechselt man auf die andere Seite des Grates, wo der Weg mit Stahlseilen versichert weitergeht, bevor man oberhalb der Spaltenzone auf den Gletscher absteigt. Auf dem Gletscher steigt man zur Hütte auf, die an der Südseite eines Felsen „klebt“ und sich somit bis zu letzt unseren Blicken entzieht. Es ist herrliches Wetter. Die Hütte ist ein Raum mit einem Doppelstocklager für 20 Personen und einem langen Tisch. Einige Bergsteiger schlafen, es ist aber nicht voll. Wir setzen uns vor die Hütte mit Blick auf den sonnenbestrahlten Gipfel. Irgendwann bemerkt Bernhard, dass am Ende des Raumes noch eine Tür ist, hinter der sich eine Küche verbirgt. Die Hütte ist bewirtschaftet und zwar von einer sehr netten jungen Frau, von der ich allerdings erfahre, dass die Hütte ausgebucht ist. Zum Glück hatten wir keine Telefonnummer gefunden und glaubten zunächst die Hütte sei unbewirtschaftet, denn sonst wären wir ja nicht aufgestiegen. Nun ist guter Rat teuer (inzwischen ist es schon 18Uhr). Doch das Problem löst sich leicht. Wir bekommen 2Matratzen und 3Decken und dürfen zwischen dem Schlafplatz unter dem Tisch (auf der Bank schläft schon 1Führer + Klient) oder dem vor der Hütte auf 2 Europaletten wählen. Wir wählen letzteren und bekommen dazu ein vorzügliches 4-Gänge-Menue. Was will man mehr?! Bis Mitternacht kommen noch Gruppen von der Überschreitung an, die wir von unserem Schlafplatz beobachten und wir sind froh, dass wir nicht in der Hütte sind.
Da wir ohne Führer unterwegs sind, dürfen oder müssen wir(je nachdem wie man es sieht) bis 7Uhr schlafen und bekommen Frühstück im strahlenden Sonnenschein, als die Führer mit ihren Klienten, die wie wir auf den Ostgipfel steigen wollen, schon an der Schlüsselstelle stehen. Als diese überwunden ist, darf ich bezahlen und wir laufen gegen 8Uhr über den Gletscher los.
Es sind ja nur noch 400 Hm, die uns vom Ostgipfel trennen. Leicht ansteigend über den Gletscher erreichen wir schnell die Stelle an der wir die geführten Gruppen beobachteten. Es ist ein steiler Eishang über der Randkluft. Die Gruppen vor uns haben ihre Sicherungspunkte für den Abstieg zurückgelassen, sodass wir diese, zu mindestens im Aufstieg, nutzen können. 50m steigen wir gesichert zu einen Grat auf dem wir unschwer über teils Fels, teils Firn den Gipfel erreichen. Vom Gipfel haben wir einen herrlichen Rundblick auf die umliegenden Gipfel bis hin zum Mont Blanc und am Hauptgipfel beobachten wir Kletterseilschaften – am echten Klassiker.
Drei alpine Bergtouren haben wir erlebt, viele interessante Ziele im Dauphine locken zum Wiederkommen: alpine Klettertouren, eine Gebietsdurchquerung, großartige Bergwanderungen, wozu auch der GR54 zählt (Rundweg um das Gebiet) und nicht zuletzt die üppige Fauna und Flora des Nationalparkes.
Lifte und Hotelanlagen sucht man vergebens und die Anreise ist auf schmalen Gebirgsstraßen bei Gegenverkehr recht abenteuerlich. Aber das schöne ist: hier sind die Bergbegeisterten unter sich!