Per Tunnelbahn auf den Huayna Potosi (6080 m) (2001)

Autor: Rene Jentzsch

Da es auf der nun vollständig asphaltierten Straße von meinem jetzigen Wohnort Cusco nach La Paz nur noch rund 14 Busstunden sind, habe ich mich Mitte Mai kurzerhand auf den Weg gemacht, um mich mit Wolle aus Radebeul und einigen anderen Dresdner Bergfreunden in der bolivianischen Metropole zu treffen. In den Bergen der Königskordillere hatten wir allerdings wenig Glück, da es für diese Jahreszeit nicht ganz untypisch noch eine ganze Menge Neuschnee gegeben hat, so daß wir uns bei der Ankunft in der Condoririgruppe nur 2 Tage lang im Basislager haben einschneien lassen., Außerdem war es viel zu warm (Lawinengefahr) und so haben wir uns dann am Freitag in das „Skigebiet“ Chacaltaya verzogen. Es lag soviel Schnee, daß nicht mal die vierradgetriebenen Fahrzeuge bis zur Hütte auf 5250 m hinauffahren konnten; wir sind schon bei 4800 m ausgestiegen und alsbald konnte ich auch meine dankenswerterweise von Wolle mitgebrachten Tourenski unterschnallen, um zügig zur Hütte aufzusteigen. Nachdem sich meine Freunde im Skiraum des Club Andino die passende Ausrüstung zusammengesucht hatten, konnten wir einen schönen Tag im jungfräulichen Schnee verbringen – mit diesmal sogar funktionierendem Skilift, wovon die anderen lebhaft Gebrauch machten. Ich habe mir nach jeder Abfahrt die Steigfelle untergeklebt und bin per Ski aufgestiegen; ein bißchen Konditionstraining muß auch mal wieder sein, da ich in letzter Zeit nicht allzuviele sportliche Aktivitäten unternehmen konnte. Ansonsten habe ich mich nach den netten aber leider relativ kurzen Abfahrten da oben auch noch ganz gut gefühlt, so daß die Puste noch für eine leidenschaftliche Diskussion mit dem österreichischen Hüttenwirt ausreichte.
Der Karl … oder „Carlos“ (Nach­namen weiß ich leider nicht) hat die Hütte seit 2 Jahren vom Club Andino Boliviano gepachtet und will sie zu einer echten „Nobelberg­hütte“ herrichten, was er ja ruhig machen soll. Als er aber anfing, von einem anderen Projekt zu erzählen, kam mir fast die eben gerade ver­zehrte recht fettige Gulaschsuppe seiner „leckeren“ Küche wieder hoch. Er trägt sich doch tatsächlich ernsthaft mit der Idee, am gegenüberliegenden schönen Huayna Potosi (dem vielleicht am leichtesten zugänglichen 6000er der Welt) eine Tunnelbahn beginnend in der Nähe des Zongopasses (rd. 4800 m) bis kurz unter den Gipfel sowie dort oben eine Aussichtsplattform einzurichten. Dazu ist er bereits in Vorgesprächen mit dem bolivianischen Tourismusministerium (und solche Institutionen in diesen Ländern lassen sich nach meiner Erfahrung recht leicht zu solchen Wahnsinnsprojekten überreden, wenn man da etwas von Arbeitsplätzen, Belebung der Zone und Touristenmagnet daherredet; tatsächlich würde man sicher für einige Jahre einige hundert Mineros mit dem Bau beschäftigen können, danach dürfte der Großteil des Geldes dann wohl aber bei der ausländischen Betreibergesellschaft hängen bleiben). Auch für die Finanzierung hat er nach eigenen Aussagen schon einen Schweizer Freund interessieren können.
Auf meine Frage hin, ob das nicht ein sehr starker Eingriff in die noch relativ ursprüngliche Natur dieser Bergzone sei, war seine Antwort, daß sich ja in der Saison an diesem Berg auf dem Normalaufstieg täglich ohnehin an die 50 Bergsteiger „tottrampeln“. Das ist zwar in den letzten Jahren wirklich fast zur traurigen Realität geworden; meines Erachtens ist dies aber noch lange kein Argument, die Erschließung des Berges auf o.g. Art und Weise zu rechtfertigen. Auf die Frage, warum er denn die Seil- oder Tunnelbahn nicht an „seinem bereits mit Skilift und Zufahrtsstraße erschlossenen Hütten- und Aussichtsberg Chacaltaya“ errichtet, war seine Antwort; daß solch ein Projekt einen extremeren und somit für die Leute, die es bezahlen mögen und können, reizvolleren Standort braucht, wozu der Huayna Potosi mit seiner idealen Zugangsstraße, der Nähe zu La Paz (knapp 2 Autostunden), der schönen Aussicht auf die Königskordillere und den Titicacasee und mit seinen immerhin rd. 6080 m Höhe der ideale Projektstandort wäre – klar, warum denn nicht mal eben einen 6000er mit der Tunnelbahn erklimmen. Meine ironische Anmerkung – eigentlich wäre doch der Illimani ein noch besserer Standort, immerhin hat er 6460 m und ist der höchste und berühmteste Berg in der Nähe von La Paz – wurde ignoriert. Auf eine weitere Frage, wem denn die Erlöse dieser „Bergfahrten“ zugute kämen, die etwas schwammige Antwort, dass dies einen großen Aufschwung für den bolivianischen Tourismus bedeuten würde und dass Bolivien bzw. La Paz so eine Attraktion unbedingt braucht, denn in den österreichischen Alpen hat es ja so gut wie auf jedem Gipfel eine Bergbahn (toller Vergleich zur Cordillera Real; auch scheint mir der „Carlos“ seit längerem nicht mehr in seinem Heimatlande gewesen zu sein, denn zum Glück hat es dort auch heute noch lange nicht auf jeden Gipfel eine Bergbahn). Abgesehen davon schwingt sich nach meiner Beobachtung der bolivianische Tourismus in den letzten Jahren auch ohne ein solches Wahnsinns-Bergbahnprojekt bereits ganz gut in die Höhe, aber vielleicht geht es ja noch höher…
Näheres war zu den Hintergründen erst mal nicht zu erfahren, außer einer weiteren Nebenbemerkung, daß in Bolivien sowieso 80% der Unternehmen keine Steuern bezahlen und daß dies doch günstig für solch ein Projekt wäre… Da soll man doch wohl nicht langsam ins Grübeln kommen über das, was der wackere Alpenländer da in den luftigen Höhen des bolivianischen Altiplanos vorhat.
Was sagen denn die anderen Bolivien-Kenner und Bergfreunde zu dieser „tollen“ Idee? Ich zumindest hoffe, daß es nur bei der Idee bleibt und sich für diese Spinnerei kein Geldgeber findet; aber schon manch’ gefährlicher Spinner hat trotz heftiger Kritiken erreicht, was er wollte; auch wenn es vorher fast unmöglich erschien