Veloland Schweiz (2001)

Autor: Siegfried Lehmann

Seit 1998 schlummerte in uns der Wunsch, mal eine der großen nationalen Radfernrouten durch die Schweiz in ihrer gesamten Länge zu befahren. Dass es so etwas gibt, haben wir damals erfahren, als wir mit den Rädern am Bodensee und am Lago Maggiore einige kleine Teilstücke solcher Routen abradelten und dabei merkten, dass diese hervorragend ausgebaut und gekennzeichnet sind.
Bei Überlegungen über Urlaubsziele für 2001 reaktivierten wir diese Idee schließlich wieder. Für die konkreten Planungen mussten natürlich noch weitere Informationen eingeholt werden. Dabei ergab sich Folgendes:
In der Schweiz gibt es 9 nationale, einheitlich signalisierte Radfernwanderwege. Diese bilden das Herzstück eines flächendeckenden Radwegenetzes und werden durch eine Vielzahl regionaler und lokaler Fahrradrouten ergänzt. Bei den nationalen Routen kann man ganz nach persönlichen Bedürfnissen zwischen Längen von ca. 280 km und ca. 500 km oder zwischen Gesamthöhendifferenzen von ca. 600 m und ca. 7200 m auswählen. Das Verdienst zum Aufbau dieses hervorragenden Radwanderangebots durch die einmaligen Landschaften der Schweiz gebührt der Stiftung „Veloland Schweiz“ (s. Titel). Gemeinsam mit vielen Partnerunternehmen hat diese Stiftung nicht nur das Radwegenetz, wofür hochwertige Routenführer existieren, sondern auch ausgezeichnete Rahmenbedingungen z. B. für Übernachtungen, die Überwindung beschwerlicher Teilstücke mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder für Pannensituationen geschaffen.
Bei der Wahl der Route entschieden wir uns für die Seen-Route. Diese Tour verbindet auf einer Länge von ca. 500 km den Bodensee mit dem Genfer See und führt unterwegs noch an 14 weiteren Seen vorbei. Sie ist zwar die längste aller nationalen Routen, versprach aber auf Grund der moderaten Höhenunterschiede (angegeben mit 3300 m), die Anstrengungen in Grenzen zu halten und gleichzeitig mit den vielen Seen die meisten Erholungsmöglichkeiten im bzw. am Wasser.
Gestartet sind wir, d.h. Heidrun, Rita und ich, am 26. Juni bei Rorschach am Bodensee. Diese Richtung bietet den Vorteil, dass nicht gleich zu Beginn Berge zu bewältigen sind und man so noch etwas Zeit hat, sich im flachen Terrain mit dem vollbepackten Drahtesel anzufreunden. Wir hatten uns nämlich entschlossen, völlig unabhängig von irgendwelchen Quartier­bestellungen zu bleiben und jeden Tag so weit zu fahren, wie wir Lust haben, und dort zu bleiben, wo es uns gerade gefällt. Dies bedeutete, dass die notwendige Ausrüstung wie Zelt, Matten, Schlafsäcke, Kocher etc. neben diverser Kleidung und Verpflegung auf die Räder verteilt und transportiert werden musste. Wir haben das Gepäck zwar nicht gewogen, aber 25 kg waren es bei mir sicher. Bei meinen Damen etwas weniger. Dies bedarf schon einer Gewöhnung.
Wir legten die gesamte Strecke in 9 Etappen zurück und beschränkten uns auf Abschnitte zu je ca. 50 – 70 km. So blieb ausreichend Zeit, um unterwegs diverse Abstecher zu machen oder an einem schönen See zu rasten. Bis auf 1 1/2 Tage, wo wir mal kräftig eingeweicht wurden, hatten wir sehr gutes, fast schon zu warmes Wetter. Bis auf eine Ausnahme übernachteten wir deshalb immer in unserem Zelt. Ein besonderes Erlebnis war für uns die eine Ausnahme: „Schlafen im Stroh“. Diese Übernachtungsangebote findet man in der Schweiz auf vielen Bauernhöfen. Zufällig hatten wir in Pfäffikon dies eingeplant, an dem Abend als wir völlig durchnässt wurden und deshalb sehr froh über ein trockenes und festes Quartier waren. Die Atmosphäre auf dem Bauernhof, das Schlafen im Stroh und das hervorragende Frühstück waren ein tolles Erlebnis und ein Höhepunkt der Tour.
Stichwortartig der Strek­kenverlauf unserer Route:
Von Rorschach das Rheintal südwärts (fast ohne Höhenunterschiede) über Altstätten und Werdenberg (kleinste Stadt der Schweiz, male­rische Holzhaussiedlung; schöner Zeltplatz, aber: die ganze Nacht aller 15 min wiederkehrendes Glockengeläut von benachbarter Kirche) vorbei an Liechtenstein (Abstecher nach Vaduz) bis nach Sargans; hier Abzweig Richtung West ins Seeztal bis zum Walensee (Zeltplatz Murg) am Fuße der Churfirsten; an dessen S-Ufer entlang und weiter zum Züricher See nach Rapperswil (sehenswertes Stadtzentrum); über die Seebrücke nach Pfäffikon (Schlafen im Stroh) und weiter Richtung Süden 500 m hoch in die Berge nach Biberbrugg; durch Hochmoorlandschaften und später westwärts meist bergab zum Ägerisee und weiter nach Zug (fantastische Altstadt) am Zuger See; um diesen herum und in SW-Richtung nach Luzern (Zeltplatz, herrliche Altstadt, toller Blick auf Pilatus) am Vierwaldstädter See; an der Westseite des Vierwaldstädter Sees bis nach Stansstad und weiter Richtung SW vorbei am Alpnacher See, Wichelsee und Sarner See und schließlich bergauf zum Lungerner See nach Obsee (Zeltplatz); über den Brünigpass (1008 m) nach Meiringen und umgeben vom Hochgebirgspanorama des Berner Oberlandes zum Brienzer See; an dessen Südseite mit kräftigen Anstiegen bis Bönigen (Zeltplatz, schöne alte Holzhäuser) bei Interlaken; am Thuner See weiter bis Spiez; hier SW-wärts abbiegen ins idyllische Simmental und dieses stetig bergauf nach Zweisimmen (Zeltplatz, herrliche Umgebung); über den Pass von Saanenmöser (1269 m) und hinab durch den Nobelort Gstaad und das Saanenland; ab Montbovon Richtung NNO ins Greyerzer Land nach Gruyeres (Greyerz, fantastisches mittelalterliches Städtchen mit Stadtmauer und Türmen auf dem Berg, Zeltplatz Epagny); zum Greyerzer See und über Bulle schließlich westwärts später SW-wärts durch die offene Moorlandschaft des Lac de Lussy nach Chatel-St.-Denis, wo wenig später die steile und lange Abfahrt nach Vevey folgt und mit der belastenden Fahrt durch dichten Straßenverkehr die Tour in Montreux ihr Ende findet.
Bis auf wenige Ausnahmen führt die Strecke immer auf separaten Radwegen, land- oder forstwirtschaftlichen Wegen (meist asphaltiert) oder ruhigen Nebenstraßen. Weiterhin besteht insbesondere an allen Bergabschnitten die Möglichkeit, auf die Eisenbahn umzusteigen, so dass die Seen-Route auch allen empfohlen werden kann, die Bergfahrten nicht so lieben. Auf zwei kurzen Abschnitten, wo die Strecke auf stark befahrener Straße steil bergauf führt (hinter Pfäffikon und zum Brünigpass), haben auch wir diese Alternative genutzt und darauf verzichtet, uns bei Hitze, Gestank und Lärm bergauf zu quälen.
Insgesamt war diese herrliche Fahrt von über 500 km diagonal durch die Schweiz mit ihren vielfältigen und tiefen Eindrücken eines unserer großartigsten Urlaubserlebnisse, wogegen die Erinnerungen an die 2. Hälfte unseres Urlaubs mit Wanderungen im Berner Oberland stark verblassen.