Ostern 2003 – Haute Route Skidurchquerung

Autor: Andrea Blüthner

Historisches:
1861: Mitglieder des englischen „Alpine Club“ erreichen im Sommer von Chamonix aus über Col d’Argentière, Col des Planards, Col du Sonadon, Col d’oren und Col de Valpelline Zermatt. Sie nennen ihren Weg „High Level Road“.
1903 (vor 100 Jahren also): Erster Versuch einer Skidurchquerung durch den Chamoniarden J.Ravanel mit Gefährten: Col du Chardonnet, Orsières, Chanrionhütte, Col de l’Evêque. Hier Abbruch und Abstieg wegen Proviantschwierigkeiten und schlechtem Wetter
1911: Marcel Kurz mit fünf Gefährten löst durch Überquerung des Plateau du Couloir und des Col du Sonadon das schwierige Problem des Grand-Combin-Stocks. Die Partie erreicht Zermatt über Col de l’Eveque, Gl. d’Arolla, Col de Bertol und Col d’Hérens.

Vorgeschichte:
Die Haute Route – eine Skidurchquerung in den Westalpen in der Gegend zwischen Mont Blanc und Matterhorn – hat uns schon lange gelockt. Aber gedanklich immer in weiter Ferne, bis Steffen Milde im letzten Jahr die Initiative ergriff und mit uns (Roland Himpel, Andrea und Bernhard Blüthner) den Termin Ostern 2003 fixierte. Als es soweit war, hätte uns die Wetterlage beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Rund um die Alpen kreisten die Tiefdruckgebiete, und kein Wetterbericht wollte uns eine längere Hochdruckphase versprechen. Deshalb ging das ganze auch mit einer Ausweichtour los – Skibesteigung des Großglockners von der Stüdelhütte aus. Noch 2 Tage Schlechtwetter in den Dolomiten und dann endlich…
…Unsere Tour in 5 Etappen!
Ostersonntag (20.4.) – Prolog
Fahrt von Freising über Martigny nach Bourg St.Pierre 1632 m, Ausgangspunkt für unsere erste Etappe. Im letzten größeren Ort – Orsieres – holen wir Schweizer Franken vom Automaten, trinken einen Kaffee und rufen in der Pension de Valsorey in Bourg an, um die Übernachtung zu sichern.
In Bourg angekommen, beziehen wir unser Quartier und erkunden den Einstieg. Auf den ersten 300 Höhenmetern liegt kein Schnee. Dafür sehen wir Steinböcke weit oben am Hang.
Montag – Erste Etappe: Aufstieg zur Valsoreyhüte 3030 m, 1400 Hm
Wir wollen zeitig starten und haben das petit dejeuner für 6:00 Uhr verabredet. Beim Frühstück die Nachricht „Le pain n’as pas arrive“ – die Semmeln sind noch nicht da. Dafür lernen wir eine Gruppe aus Kehlheim kennen. Sie haben am Sonntag bei schlechtem Wetter mit GPS die Etappe von der Argentierhütte nach Champex gemacht. Das haben wir durch die direkte Anreise nach Bourg ausgespart. 8:30 Uhr endlich Start als Skiwanderung, d. h. erst mal 3 Stunden Fußmarsch. Dann doch noch Schnee und ein langer steiler Hang führt uns zur Hütte. Bis zum Diner ist noch Zeit: die Dresdner lernen, dass es nicht Schafskopfen, sondern Schafkopf’n heißt und dann auch noch die Regeln.
Dienstag – Zweite Etappe: Valsoreyhütte – Chanrionhütte 2462 m, 940 Hm
Enttäuschung beim Aufstehen: Nebel ohne Ende. Wir laufen in der GPS-Spur der Kehlheimer, an steilen Stellen setzen wir erste Spitzkehren. Es wird immer steiler. Wir ziehen die Ski aus und die Steigeisen an. Mitten im Hang reißt plötzlich die Wolkendecke auf. Wir stehen im Steilhang zum Plateau de Couloir 3650 m, rechts die berühmte Wächte, über uns der Grand Combin (4314 m). Nach kurzer Rast folgt eine schöne Abfahrt auf den Glacier du Sonadon. Nun wieder anfellen, kurzer Aufstieg zum Col du Sonadon 3504 m, die Sicht reicht jetzt bis zum Mont Blanc. Herrliche Abfahrt über Galcier du Mont. Neben uns eindrucksvolle Abbrüche. Noch zweimal anfellen, zuletzt im Talgrund der Drance de Bagnes bei 2250 m. Nun ist der Schnee weich, die Sonne brennt, und die Chanrionhütte noch ein ganzes Stück hin. Aber irgendwann sind wir da und – Überraschung – es gibt fließendes Wasser!
Mittwoch – Dritte Etappe: Chanrionhütte – Vignetteshütte 3158 m, 1330 Hm
Hier gibt es 2 Varianten: Der Felsbuckel La Serpentine teilt die Gletscher in Glacier de Serpentine und du Brenay. Wir haben uns für den Weg über den Glacier du Brenay entschieden. Es ist kalt, der Mond beleuchtet unsere Spur. Bald nach dem Hellwerden kommt der Eisbruch Seracs du Brenay (150 m hoch) in Sicht. Er sieht auch aus der Nähe noch sehr eindrucksvoll aus. Wir passieren ihn mit Steigeisen über ein Schneefeld an seiner linken Seite. Danach langer Weg über den Galcier du Brenay zum Col de Brenay 3639 m. Nun endlich ein Gipfel: Pigne d’Arolla (3796 m) ersteigen wir mit Skiern. Bei der Abfahrt vom Col kommt die Vignetteshütte in Sicht – sehr abenteuerlich an einem Abgrund gelegen. Ein steiler Hang noch und wir sind am frühen Nachmittag auf der Hütte.
Donnerstag – Vignetteshütte – Schönbielhütte 2694 m, über drei Pässe, 1120 Hm
Im Dunkeln treten wir vor die Hütte und fahren zum Anfellen in den Col de Chermontane hinunter. Nun geht’s aufwärts: Col de l’Eveque (3392 m), Col du Brule (3213 m), einziger Zugang zum Haut Glacier de Tsa de Tsan. Nach langem Weg über den Gletscher nun die Belohnung am Col de Valpelline (3568 m): Vor uns das Matterhorn!!! Nach ausgiebiger Rast nehmen wir noch einen Skigipfel am Wegesrand mit: Tete de Valpelline (3802 m). Er bietet uns einen herrliche Blick auf Matterhorn und Dent d’Herens und überrascht uns mit einer wunderbaren Pulverschneeabfahrt. Nun Abfahrt über Stockjigletscher (wir sind im deutschsprachigen Gebiet angekommen). Eine Passage am Seil – die einzige unserer ganzen Haute Route – gelingt prima. Das reinste Ballett. Der Aufstieg zur Hütte beendet nach 9,5 Stunden unsere längste Tagestour, ein ganzes Kartenblatt 1:25.000. Von der Hütte phantastischer Blick auf die Matterhorn-Nordwand.
Freitag: – Fünfte Etappe: Schönbielhütte – Kleines Matterhorn – Breithorn – Zermatt
Das Matterhorn liegt im Sonnenschein, wir fahren (und wandern) hinunter nach Furi (1867 m), um von dort mit Seilbahnhilfe zum Kleinen Matterhorn (3817 m) zu kommen. Ein Ski-Viertausender soll es noch sein, deshalb machen wir uns gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten auf dem Weg zum Breithorn. Den Breithorn-Ostgipfel (4159 m) erreichen wir mit Skiern, wer dabei ohne Harscheisen ging, hatte etwas für die Nerven. Weil es so schön war, wollen wir gleich weiter zum Pollux, aber nun wird das Wetter doch noch schlecht. Wir gehen zurück zum Breithornplateau und fahren über die Piste nach Zermatt. 2000 Höhenmeter hinab, so was strengt auch an. Und dann der Marsch durch das mondäne Zermatt mit seinen Boutiquen und den vielen gut angezogenen Urlaubern – müde und zerzaust wie wir waren. Das Bahnhofshotel (eigentlich eine Art Herberge) nimmt uns gut auf, wir kaufen tüchtig ein und feiern in der großen Hotel-Gemeinschaftsküche den Abschluss dieser wunderbaren Tour.
Schlussbemerkung:
Alle wichtigen Faktoren hatten sich für uns günstig eingestellt. Das Wetter blieb stabil, wir waren gut akklimatisiert (Sektions-Skitour und Großglockner), die Kondition hat gestimmt und die Hütten waren (trotz Ostern) auch nicht zu voll. Glück hat, wer’s auch so trifft wie wir.