Autor: Paul Hennig
Nach der erfolgreichen Besteigung des Muztagh Ata (7509 m) im Sommer 2008 juckte es meinem Vati Thomas (Sektion Leipzig) und mir schon lange unter den Fingernägeln. Im Sommer 2010 fiel dann die Entscheidung: Wir wollen noch ein wenig höher hinaus. Ein Achttausender sollte es sein. Entschieden haben wir uns für den Cho Oyu (8201 m), wetterstabil und mit nicht zu großen technischen Ansprüchen.Wir starteten am 26.08.11, nach einer Vorbereitungswoche in den Berner Alpen, vom Flughafen München aus Richtung Kathmandu. 11 Tage später kamen wir im Basislager, auf der nördlichen, tibetischen Seite des Cho Oyu an. Mit 5700 m gehört es zu den höchsten achtausender Base Camps. Den Weg dort hin haben wir dementsprechend langsam gestaltet:
Nach einer Nacht in der chinesischen Grenzstadt Zhangmu (2300 m), ging es am nächsten Tag weiter nach Nyalam (3750 m). Die Fahrt war kurz, so dass wir noch Zeit für einen ersten Akklimatisationsspaziergang bis auf 4.100 Meter hatten. Am darauf folgenden Tag stießen wir bei einer längeren Tour schon bis auf etwas über 5.000 Meter vor.
Die Weiterfahrt führte uns nach Tingri (4350 m). Von hier aus hätten wir bei klarem Wetter schon einen super Blick auf unser Ziel, den Cho Oyu gehabt. Leider lag dieser vollständig in den Wolken, aber ein völlig freier Mt. Everest konnte dafür schon in Ansätzen entschuldigen. Auch auf dem lokalen tibetischen Markt ließ sich die Zeit vertreiben.
Weiter ging’s am nächsten Tag ins CBC – Chinese Base Camp (4900 m), wo wir zwei weitere Akklimatisationsnächte verbrachten. Auf dem Weg über die tibetische Hochebene passierten wir weitere kleine Dörfer und konnten die dazugehörigen Klöster leider nur noch an ihren Grundmauern erkennen. Die Chinesen haben hier deutlich ihre Spuren hinterlassen.
Die beiden folgenden Tage zeichneten sich durch recht lange Touren aus, die uns in Höhen führten, für die wir noch nicht akklimatisiert waren. Zunächst ging es in 3 Stunden, ca. 11,5 Kilometer bis ins Interims Camp nach Palung (5370 m) und am nächsten Tag in ähnlicher Distanz und 4 1/2 Stunden hinauf ins BaseCamp (BC – 5700 m), wo wir als eine der ersten Expeditionen unser Lager aufgeschlagen haben. Fast alle hatten hier mit Kopfschmerzen zu kämpfen. Zudem ist jegliche Aktivität die über sitzen und liegen hinaus geht noch mit großer Anstrengung und heftigen Atmen verbunden. Ein wenig sollte sich dies noch verbessern. Die vollständige Anpassung ist in dieser Höhe jedoch schon nicht mehr möglich.
Nach zwei weiteren Ruhetagen im BC, die größtenteils für die Aufteilung und Herrichtung der gesamten Ausrüstung genutzt wurden, stiegen wir am 8. September das erste mal vom Basislager bis zu Lager 1 auf 6400 m auf. Der Aufstieg zum Lager folgt für ca. 2 Stunden einer Moräne parallel zum Gletscher bevor es dann über den “Killerhang” recht steil zunächst über Geröll und später über Schnee hinauf zum Lagerplatz geht. Dort deponierten wir den ersten Teil unserer Ausrüstung und stiegen gleich wieder ins BC ab.
Es waren wieder 2 Ruhetage vorgesehen. Da man sich in dieser Höhe eigentlich nicht mehr vollständig regenerieren kann (der Körper hat auf längere Zeit gesehen keine Überlebenschance), braucht man auch lange Zeit um sich zu erholen. Die Zeit verbringt man mit Bücher lesen, Tagebuch schreiben, Wäsche wachen und Ausrüstung pflegen. Zudem haben wir unsere Puja gefeiert. Die Puja ist ein buddhistisches Ritual, bei dem die Götter und der Berg einer Besteigung durch uns gnädig gestimmt werden. Auch unsere Ausrüstung konnten wir bei der Gelegenheit für die bevorstehende Besteigung weihen lassen.
Dann ging es wieder mit neuem Gepäck Richtung Lager 1. Beim Aufstieg wurden wir auf den letzten Höhenmetern wieder von unserem alltäglichen, am Nachmittag einsetzenden Schneefall begleitet. Dabei griffen uns unsere drei Sherpas unter die Arme. Sie transportierten die Zelte, Sicherheitsausrüstung und Fixiermaterial. In Lager 1 angekommen waren wir die meiste Zeit mit Wasserkochen, Essen, Trinken und – soweit möglich – mit Schlafen beschäftigt. Gerade für die Höhenanpassung ist es wichtig, extrem viel zu trinken und somit nimmt das Schneeschmelzen in der Höhe einige Zeit in Anspruch. Am nächsten morgen getrauten wir uns erst aus unseren Schlafsäcken nachdem die Sonne ein wenig Wärme in unser Zelt gebracht hatte. Nach einem kleinen Frühstück entschieden wir uns, direkt ins BC abzusteigen. Der geplante Materialtransport ins Lager 2 hätte bei so viel Neuschnee und ungespurtem Weg zu viel Kraft gekostet.
Nach zwei weiteren Ruhetagen hieß es wieder: Auf nach Lager 1. Nun zum dritten mal, dafür aber mit weniger Gepäck. So langsam hatten wir schon alles nach oben gebracht. Nach einer guten Nacht (diesmal ohne Kopfschmerzen) ging es schon früh los Richtung Lager 2. Das anspruchsvollste Teilstück des Cho Oyu lag nun vor uns. Der Weg verläuft anfangs über einen 40-45° steilen Gradrücken über den man an eine ca. 40 m hohe Steilstufe gelangt. Über ein großes Plateau gelangt man an einen weiteren 40° Aufschwung, der einen an einem Eisbruch vorbei zum 2. Lager auf 7100 m führt. Für die 700 Höhenmeter brauchten wir 6 ½ Stunden. Kein Wunder, denn wir hatten noch die gesamte Ausrüstung für eine Nacht in diesem Lager dabei. Zudem hatten wir nun unsere schweren Expeditionsstiefel an den Füßen. So gestaltete sich die letzte Stunde zum Lager zu einer echten Herausforderung. Die Kräfte waren komplett am Ende und wir mussten aller 20 m erst ein paar Atemzüge Pause machen. Auch das Schritttempo verlangsamte sich auf 2-3 Atemzüge pro Schritt. Im Lager angekommen musste man sich zwingen nicht gleich einzuschlafen sondern erstmal Wasser zu kochen. Nach einer sehr kalten Nacht (ca. -15°C im Zelt) standen wir erst mit der Sonne auf. Jegliche Tätigkeiten benötigen in dieser Höhe sehr viel Zeit. So brauchte ich ca. 15 min um meine Schuhe anzuziehen. Auch der Abstieg ins BC war sehr beschwerlich. Die Nacht hat mehr Kräfte gekostet, als dass sie Erholung gebracht hätte.
Damit hatten wir alle Vorbereitungen für einen Gipfelgang abgeschlossen. Wir waren akklimatisiert und die Lager eingerichtet. Damit lagen wir voll im Plan. Wir hatten nun noch 2 Wochen für den Gipfelsturm. Lager drei würde man erst direkt am Tag des Aufstiegs errichten. Nun hieß es mindestens 3 Tage erholen und dann auf gutes Wetter warten.
Am ersten Ruhetag gab es dann plötzlich eine Überraschung. Gegen Nachmittag wurde es plötzlich laut und in der Ferne gingen überall Lawinen ab. Dann spürten wir es auch. Die Erde machte verdächtige Seitwärtsbewegungen. Voller Panik rannten alle aus ihren Zelten und schauten auf den Hang über uns. Jedoch war unser Lagerplatz gut gewählt sodass wir uns in Sicherheit befanden. Unser japanischer Experte in Sachen Erdbeben, der Extrembergsteiger Hiro Takeuchi, schätzte mit einiger Erfahrung die Stärke des Bebens auf drei. Später fanden wir heraus, dass das Erdbeben sein Zentrum in Sikkim hatte und sogar mit 7 bewertet wurde.
Aus der 3 wurde eine 7 und aus den Ruhe- eher Wartetage. Dies lag darin begründet, dass das Gelbe Band oberhalb von Lager 3 noch nicht fixseilversichert war. Nach dem Willen der lokalen chinesischen Regierung muss jede Expedition seit diesem Jahr Geld an eine chinesische Organisation zahlen, die sich im Gegenzug dazu verpflichtet, die gefährlichen Stellen am Berg zu versichern. Sie war jedoch sehr unzuverlässig und hatte immer Gründe gefunden dies nun gerade nicht zu tun. Allerdings fand sich dann eine koreanische Expedition die inzwischen das Gelbe Band mit Fixseilen versehen und erfolgreich den Gipfel erreicht hatte. Unsere diversen Wetterprognosen sagten gutes Gipfelwetter mit wenig Wind und Feuchtigkeit, für den 28. September voraus. Dieses Zeitfenster wollten wir nutzen! So starteten wir am 25. bei Schneefall vom BC. Wir waren noch nicht mal einen Kilometer gelaufen da kam unser Bergführer uns nachgelaufen und sagte wir sollen doch besser umkehren. Er hatte erfahren, dass in Lager II die Hölle los sein muss. Wegen des enormen Windes und Schneefalls getrauten sich die Bergsteiger nicht nach unten. Diese Entscheidung sollte sich als sehr gut erweisen. In den nächsten zwei Tagen schneite es ununterbrochen. Es hangen Bergsteiger sowohl im 1. als auch im 2. Lager fest. Ein deutscher Bergsteiger wurde dabei im Zelt von einer Lawine getroffen und erstickte. Die Wetterprognosen bestätigten sich somit nicht.
Am morgen des 27. Septembers hatte es endlich aufgehört zu schneien. Nach 22 Tagen war dies der erste vollständige Sonnentag ohne Niederschläge. Im Basislager hatten wir 50 cm Neuschnee und unser Berg stand in voller Bracht bei Sonnenschein vor uns. Da der Weg von Lager 2 nach 3 einer großen Mulde folgt, dachten wir wegen zu großer Lawinengefahr den Gipfel schon abschreiben zu müssen. Jedoch kristallisierte sich noch ein mal ein günstiger Gipfeltag für den 30. September heraus. Da wir sowieso ins 2. Lager mussten um unsere ganze Ausrüstung zu holen, entschieden wir uns vor Ort die Lawinengefahr zu beurteilen. Das Problem war nun jedoch, dass wir nicht mehr genug Zeit für einen „anständigen“ Aufstieg hatten. Uns fehlte ein Tag. Eine Möglichkeit war direkt aus Lager 2 zu starten. Dies hätte jedoch die Gipfelchancen stark beeinträchtigt. Um also wie geplant aufzusteigen musste noch am selben Tag der Aufstieg nach Lager 1 erfolgen. Da es schon 14Uhr war, wollten wir spätestens 15 Uhr los. Glücklicherweise waren die Rucksäcke noch gepackt.
Wie erwartet sind wir in die kalte Nacht hineingestiegen. Allerdings hatte keiner von uns mit so starkem Wind gerechnet. Da die warme Ausrüstung in Lager 1 lag, hatten wir nicht genügend Sachen an. Auch meine Daunenhandschuhe waren nicht da. So habe ich nun immer noch taube Fingerspitzen und taube große Zehen. Dies ist der leichteste Grad der Erfrierung. Ich spüre aber schon einsetztende Besserung. Im Lager angekommen stellten wir fest, dass wir wirklich Glück hatten. Nur noch wenige Zelte waren nicht vom Schnee eingedrückt oder sogar gebrochen.
Am 28. September ging es dann weiter ins Lager 2. Der Weg dahin war nicht weniger kalt – aber durch die Länge der Strecke und die Rucksäcke noch anstrengender. Durch den starken Wind hatte ich mir auch noch ein Auge entzündet. Mit ein wenig Salbe und einer Skibrille für den nächsten Tag war dies jedoch wieder schnell geheilt.
Da wir die einzigen am Berg waren mussten wir am nächsten Tag nach Lager 3 spuren und erreichten nach 4 Stunden den Lagerplatz (7550m). In dieser Höhe schafften wir auch wegen der schweren Rucksäcke nur noch 80 hm pro Stunde. Die Lawinengefahr war dank einer 5 cm dicken Harschschneedecke, die man jedoch fast immer durchbrach, nicht so groß. Der Wind der Vortage hatte die obere Schicht gut verpresst. Angekommen sind wir sofort ins Zelt, da der Aufenthalt dort nur sehr kurz ist. Die Zeit die wir hatten, mussten wir nutzen, um genügend Schnee für den Abend, die kurze Nacht, den Morgen sowie den nächsten Tag zu schmelzen. Abmarsch vom Lager sollte 3.30 Uhr in der Früh sein. Mindestens zwei Stunden vorher hieß es jedoch Aufstehen, um rechtzeitig fertig zu sein – in der Höhe dauert einfach alles viel länger.
Am Morgen ist es im Zelt bereits eiskalt – draußen ist es noch viel kälter (mindestens -25°C). Dazu weht ein starker Wind, der es noch kälter wirken lässt. Gut eingepackt zogen nur noch 6 unserer 12–köpfigen Gruppe zumindest für eine halbe Stunde Richtung Gipfel. Dann erreichten wir das Gelbe Band auf 7.600 m. Dort suchte eine Gruppe von 6 Sherpas (zu unseren 3 sind noch 3 Sherpas einer Amerikanischen Expedition, die mit Sauerstoff direkt aus Lager 2 kamen, hinzugestoßen) den richtigen Weg durch die zugewehte, felsige Steilstufe. Die Koreaner hatten (wenn auch wenige und als nicht besonders sicher beschriebene) Fixseile verlegt, die allerdings etwas abseits der eigentlichen Route lagen und weder von uns noch unseren Hochlagerträgern in der Dunkelheit gefunden werden konnten. Bedingt durch die Dunkelheit, die Kälte und die schwierige Wegfindung, behindert durch den vielen Schnee, entschieden sich unsere Sherpas jedoch den Rückweg anzutreten. So entschließen auch wir uns umzukehren und den Weg über das Gelbe Band nicht alleine und ohne Seilsicherung zu wagen. Auch wäre die Spurarbeit zum Gipfel in einer solchen kleinen Gruppe bedeutend anstrengender gewesen als mit allen Teilnehmern und Hochträgern gemeinsam.
Wir sind zurück zu den Zelten und haben uns dort noch bis zum Sonnenaufgang ausgeruht. Dann ging es in einem sehr anstrengenden Gewaltmarsch mir sehr viel Gepäck (es musste ja alles zurück gebaut werden) bis ins BC, das wir mit Einbruch der Dunkelheit erreichten.
2 Tage später kamen dann auch schon die Yaks, und nach 2 weiteren Tagen waren wir in Kathmandu. In den verbliebenen 4 Tagen genossen wir unsere erste Dusche nach 4 Wochen, sowie ein weiches Bett und europäisches Essen im quirligen Stadtteil Thamel. Mit dem Besuch von Bodnath, Pashupatinath, Bhaktapur und vielen weiteren Kultstädten in und um Kathmandu kam auch die Kultur nicht zu kurz.
Nach meiner Rückkunft wurde ich oft gefragt ob ich traurig bin, den Gipfel nicht erreicht zu haben. Damals am Berg, muss ich sagen, hatte ich keinerlei Trauer empfunden. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass man über die 4 Wochen am Berg nicht nur physisch sondern auch psychisch an Kraft verliert. Kommt man nun noch in eine Situation vollständiger Erschöpfung und Kälte, hat die Motivation darunter stark zu leiden. So ist man selbst nach einem misslungenem Gipfelversuch froh endlich wieder abzureisen. Betrachtet man die Sache jedoch mit ein wenig zeitlichem Abstand, bedauert man natürlich den Gipfel nicht erreicht zu haben. Dabei muss man sich jedoch immer wieder vor Augen führen das dies zum achttausender Bergsteigen einfach dazu gehört. Nur 20% der Bergsteiger erreichen wirklich den Gipfel. Und in so mancher Saison auch mal keiner. Von daher war diese Expedition für mich eine sehr intensive und schöne Erfahrung, die mir in Zukunft sicher noch oft helfen wird. Sei es bei der Perfektionierung von Ausrüstung, Hochlagerabläufen und Akklimatisierung oder dem Einschätzen meiner persönlichen körperlichen Grenzen. Denn dies soll hoffentlich nicht der letzte große Berg gewesen sein!