Autor: Andrea Blüthner
Erich der Rote, der 982 als verurteilter Mörder auf seiner durch 3-jährige Verbannung bedingte Seereise über die Insel stolperte, nannte sie Grönland – um nach seiner möglichen Rückkehr nach Island ausreisewillige Isländer zur Übersiedlung zu motivieren. Eine Werbebotschaft also.Uns lockte jedoch das Weiße, also polare Flair der riesigen Insel. Unser Ziel war das mächtige Inlandeis. Aber trotz polarer Lage war es nicht wirklich kalt. 12 Grad im Sonnenschein um die Mittagszeit, und 3 … 5 Grad in der Nacht. Wir hatten uns für eine Reise im Juli an die Ostküste Grönlands entschieden, wo auf 2000 km Küste gerade mal 5000 Leute leben. Die restlichen 90 % der Bevölkerung leben an der Westküste. Im Inland lebt nichts und niemand. Dort ist nur Eis.Die eigentliche Herausforderung bei Sommerreisen nach Grönland ist nicht die Kälte oder das schroffe Gelände, sondern die Organisation. Deshalb haben wir zum ersten Mal in unserem langen Tourenleben auf einen professionellen Reiseveranstalter (Hauser-Reisen) zurückgegriffen. In Ostgrönland gibt es ja keine Straßen, der Hubschrauber, das Küstenschiff und die Motorboote der Inuit sind die einzigen Verkehrsmittel. Schon das Übersetzen vom Flughafen Kulusuk (auf einer Insel) zum Festland in das Städtchen Tasiilaq bedeutet eine einstündige Bootsfahrt durch dichte Eisfelder. Reiseveranstalter bedeutet natürlich auch Reisegruppe. In unserem Fall eine Reiseleiterin und 10 Teilnehmer, geteilt in eine ältere (jeweils ca. 50 Jahre alte) und eine alte (70+) Fraktion. Wobei die Alten auch die mit der Kondition waren. Einer von Ihnen (Walter aus Innsbruck) hatte sogar kurze Tourenski dabei. Alle waren ausgestattet mit Klettergurt, Steigeisen und Eispickel. Schließlich ist Grönland auch Gletscherland. Die Reiseleiterin hat zusätzlich ein mächtiges Jagdgewehr dabei, falls uns ein Eisbär zu nahe kommen sollte.
Schon die Anreise war etwas Besonderes: mit einer zweimotorigen Fokker 50 von Rejkiavik kommend, sahen wir schon im Landeanflug große Eisschollen und Eisberge vor der grönländischen Küste. Die Landung schließlich – auf einer von Benzinfässern abgegrenzten Schotterpiste – war auch für Vielflieger ungewöhnlich. Und genauso der kleine Traktor, mit dem die Inuit das Gepäck über 50 m zum Flugplatzgebäude transportieren, um es uns dort wieder in die Hand zu drücken.Am Festland erwartete uns ein kleiner Zeltplatz am Rand von Tasiilaq, der 3000-Leute-Siedlung mit den bunten Häuschen und einem kleinen Hafen. Die Lage könnte schöner nicht sein, mit Blick auf den Kung Oscar Fjord, die sanitären Anlagen bestehen aus einem Wasserkanister. Das erste Abenteuer sind 3 Tage Dauerregen (den es angeblich in Grönland gar nicht gibt…). Eine Besteigung des Hausgipfels führt dazu, dass alle Sachen vollkommen nass werden. Bei einem Abend im „Roten Haus“ des Südtiroler Bersteigers Robert Peroni, das Expeditionsbasis, Gasthaus und Berghütte in einem ist, trocknen wir wieder einigermaßen ab.
Aber dann reißt es ein bisschen auf, und wir können mit dem Motorboot auf die Gegenseite des Fjords fahren. Immer zwischen den kleinen und größeren Eisbergen hindurch. Eine klassische Fels- und Firntour erwartete uns, das Gebiet nördlich von Tasiilaq heißt nicht umsonst „Schweizerland“. Richtig spannend wurde es, als wir nach ein paar Tagen mit den Booten 80 km weit nach Norden vorstießen, um direkt am Knut-Rasmussen-Gletscher unsere Zelte aufzubauen. Der Gletscher schließt einen Fjord ab und ist über 1 km breit – mit einer 100 m hohen Abbruchkante! Der Gletscher bewegt sich wasserwärts, und so krachten Tag und Nacht Eistürme zusammen und ins Wasser. Das war wirklich eindrucksvoll. Wir wandern zu einem Aussichtsberg am Fjord, der uns einen fantastischen Blick auf die über 2000 m hohen Felsgipfel des Schweizerlandes ermöglicht. Auch ein Spaziergang mit Steigeisen und Pickel im Randbereich des Gletscher-Eisbruchs hatte seinen Reiz. Leider rutscht ein Bergfreund auf glatten Felsplatten weg und renkt sich den Arm aus. Schmerzhaft für ihn und logistisch ein neues Problem. Zum Glück hat unsere Reiseleiterin ein Satellitentelefon und kann unseren Bootsführer herbeiordern – der am nächsten Tag auch kommt und den Verletzten mit nach Tasiilaq ins Krankenhaus nimmt.
Wir anderen fahren später mit 2 Motorbooten (auf die wir einen knappen Tag lang warten…) zu unserem dritten Basislager – stundenlang durch Eisfelder und an immer größeren Eisbergen vorbei. Manchmal ist das Eis so dicht, dass die Inuit-Bootsführer den Motor abstellen und auf den Bootsrand steigen, um irgendwo freies Wasser zu suchen. An einer Fjordbiegung gab’s sogar eine „Tankstelle“ – ein Benzinfass auf einem Felsen am Wasser, vorsorglich dorthin gestellt. Wir besuchen einen winzigen Ort (an dem es sogar mal kurz Mobilfunk gibt) und bekommen unseren Verletzten zurück – nun mit eingerenktem und verbundenem Arm. Das Lager errichten wir am Sermilik-Fjord, unser letztes großes Ziel ist nun endlich das Inlandeis. Zu sehen ist es schon am Ende des von Eisbergen bedeckten Fjords – fast einen Kilometer hoch wälzen sich 3 Gletscher zum Wasser. Nach einer Erkundungstour (das Gelände ist vollkommen weglos) machen wir uns zeitig auf den Weg. Die Tour aufs Eis wird lang, der Vorteil ist, wir brauchen keine Angst vor der Dunkelheit zu haben. Es ist auch Nachts so hell, dass sich eine Taschenlampe erübrigt. Zunächst ist die Wegefindung durch das Gewirr der riesigen Granitblöcke und eine Flussquerung das bestimmende Thema, aber irgendwann erreichen wir den Firn, und das Steigen macht wieder Spaß. Als wir Mittags in ca. 1300 m Höhe auf dem Inlandeis stehen, ist das Erlebnis perfekt. Strahlender Sonnenschein, und Eisfläche bis zum Horizont. Walter jagt auf seinen Kurzskiern durch den spritzenden Firn und wir stapfen viele 100 Höhenmeter durch den sulzig werdenden Schnee nach unten. Über den Gletscher ans Seil, und dann versuchen wir, den Flussübergang vom Morgen wieder zu finden. Das Wasser ist jetzt viel höher! Es wird eine Mutprobe.
Am nächsten Tag holen uns die beiden Inuit mit ihren Motorbooten ab, und wir fahren die lange Strecke zurück nach Tasiilaq. Den Zeltplatz kennen wir schon, die gegenüber liegende städtische Müllkippe leider auch. Den Abschluss bildet ein Abendessen bei Robert Peroni im Roten Haus. Es gibt Robbe zu essen! Und obwohl einige Reisekameraden vorher heilige Eide geschworen hatten , nie und nimmer solches schwarzes Fleisch zu essen, hat doch keiner gekniffen. Und so übel war’s gar nicht! Wie Wildschwein, mit leichtem Fischgeschmack…
Den Rückweg nach Zentraleuropa kennen wir nun schon: Flug nach Rejkiavik, dort Nächtigung und noch mal Feiern, dann weiter nach Frankfurt. Insgesamt 16 sehr lohnende Tage, und eine den lokalen Verhältnissen gut angepasste Reiseorganisation. Wir sind – auch mit 4 Monaten Abstand – immer noch begeistert von dieser Reise, und wem wir davon erzählten, hat das sicher gemerkt.