Kalifornien (2002)

Autor: Matze Goede

Freedom is just another word for nothing left to loose …
… hat Janis Joplin früher mal gesungen und, wenn wir in der Nachmittagssonne über die warmen endlosen Reibungsplatten in Tuolumne Meadows schleichen, habe ich das Gefühl, ich weiß genau, was sie damit gemeint hat…
Das Leben ist leicht, das Klettern ein Genuss und wir leben ein altes Projekt: Viva California – denn Amerika soll ja bekanntlich (immer wieder gerne) eine Reise wert sein. Dank Lars’ innovativer Urlaubsplanung und wohltuendem Verständnis meiner Familie, konnten wir im Sommer endlich ein nahezu perfektes Zeitfenster für einen gemeinsamen altersgerechten Ausflug an die geliebte Westküste öffnen.
Wir lieben das Meer, die Bäume und die Felsen – darum ist die Westküste auch die erste Wahl – alles in wunderbarer Weise vereint: schlendern zwischen majestätischen Redwoods und Bouldern am Pazifik. In den Wäldern scheint die Ewigkeit zu wohnen und, wenn man ganz leise geht, hört man die Redwoods ihre Geschichten erzählen. Am Strand schlurfen wir um die Blöcke, ziehen uns die Arme lang und suchen in der Abendsonne den perfekten Boulder (ob’s den überhaupt gibt?). So baut sich fast unbemerkt ein gewisses Suchtpotential auf, wahrscheinlich auch deswegen, weil der Tagesablauf jetzt eher unserer genetischen Veranlagung entspricht – vor allem was die Vormittagsgestaltung betrifft: ausschlafen, Käffchen und der Rest wird sich finden… Irgendwie vergeht die Zeit langsamer als sonst. Wir besuchen alte Freunde, genießen die ausgewogene amerikanische Küche und erarbeiten erste Finanzierungskonzepte für ein Dauer-USA-Reiseprojekt.
Da wir uns natürlich auch dem richtigen Bergsteigen verpflichtet fühlen, müssen wir weiter und ziehen Richtung Yosemite. Schade das die Anderen zwei Millionen Touristen das auch gerade machen und so fahren wir am gelobten Valley vorbei und verkrümeln uns in die Berge nach Tuolumne Meadows: eine grandiose Landschaft mit glatt geschliffenen Granitkuppen, endlosen Reibungsplatten und genauso endlosen Runouts… …und wenn man doch mal wieder einen Bolt findet, lacht das Herz – man schleicht weiter und plötzlich steht eine neuer Gedanke im Raum: Wenn es nun doch vielleicht den perfekten Boulder gibt, gibt’s dann auch ein perfektes Klettergebiet?
Trotz verstärktem Rotweineinsatz können wir am Abend die Frage leider nicht vollständig klären…
Nach einer Woche unternehmen wir dann doch den Vorstoß ins gelobte Land.
Ein bisschen klettern, dann Ausrüstung sortieren und ab zum Big Wall am Washington Column. Da ist der Spaß dann auch vorbei, plötzlich ist wieder Arbeit angesagt. Seltsamerweise stehen an unserer Route die Kletterer nicht Schlange, zwei schöne Flüge in der zweiten Seillänge schrecken den Rest wahrscheinlich ab… Als Probanden im steilen Granit schwächeln wir im letzten Licht, träumen schön eine Nacht im Portaledge und seilen zum frühstücken ab – freedom is just…
Entspanntes bouldern an den genialen Blöcken im Camp IV bringt uns wieder ins Gleichgewicht, auch wenn ohne Crashpad das altersgerechte Abspringen bereits in den Bereich der umstrittenen Funsportarten tendiert.
Die Rückenschmerzen beharren trotz abendlicher Stufenlagerung auf ihrer Anwesenheit und so gibt es für uns nur noch eine Alternative: Heiße Quellen. Die sind zwar in der Wüste, aber was soll’s – schnell wird klar, das es sich hier auch ziemlich gut leben lässt – die Summe der Genüsse ist konstant (aber das weiß man ja schon lange… – gibt es vielleicht die perfekte hot spring?). Endlich Gelegenheit unsere Konzeption zu verfeinern. Wir werden den Kletterern einen neuen Weg weisen und einen Führer veröffentlichen: hotspringbouldering.
Zurück im Valley, beim Biwak unter’m El Capitan, bei herrlichem Sternenhimmel und kalifornischem Zinfandel wird endlich klar: Perfektion ist Sache der Götter.