Piz Bernina über Biancograt (2003)

Autor: Dagmar Mulansky

Im Gespräch war dieser Gipfel mit seinem beeindruckenden Grat schon lange, aber dieses Jahr wollten wir es endlich versuchen.
Die erste Überraschung war, dass unser mittlerer Sohn Frank plötzlich mit auf eine solche Hochtour wollte. Damit war die Tour nur in der Ferienzeit möglich und zwar im August, da Frank vorher schon eine Radtour mit seinen Kumpels geplant hatte.
Außerdem wollte noch Lutz mitkommen, was uns natürlich sehr recht und, wie sich später zeigte, zu unser aller Vorteil war.
Also waren wir eine 4-er Mannschaft (Bernd, Daggi, Frank, Lutz).
1.Tag: Anreise – Aufstieg Bovalhütte (2495 m)
Wir fuhren mit dem Auto bis zur Station Morteratsch und waren nach 2,5 Stunden auf der Hütte. Oben erlebten wir eine böse Überraschung. Es gab keine freien Übernachtungsplätze mehr und die Hüttenwirtin sagte uns sehr unfreundlich, wir sollten wieder absteigen. Als wir uns aber nicht abweisen ließen und nach einer Stunde den Hüttenwirt sprachen, stellte sich plötzlich heraus, dass es ca. 200 m entfernt noch ein altes unbelegtes Lager gibt.
Um es gleich zu sagen, so gut wie in dieser „Notunterkunft“ haben wir auf unserer Tour nicht wieder geschlafen.
2.Tag: Piz Morteratsch (3083 m)
Das sollte ein Einlauftag werden. Frank machte sich mit Steigeisen und Pickel vertraut und wir testeten Schnee und Firn. Alles verlief bestens. Über die Fuorcia Boval gelangten wir über Gletscher und Firn zum Gipfel. Frank hatte keine Probleme, entgegen vorherigen Befürchtungen waren auch keine Vereisungen festzustellen und wir hatten einen herrlichen Blick auf den Biancograt.
Der Abstieg erfolgte über den Gletscher Vadrettin da Tschierva zur Tschiervahütte (2580 m).
3.Tag: Piz Bernina (4049 m)
Da es am Vortag so blendend ging, nahmen wir gleich unser großes Ziel in Angriff.
Morgens 3.00 Uhr wurde geweckt, was Frank zu der Äußerung veranlasste, dass sei kein Urlaub. Kurzes Frühstück und los ging es. Nach nächtlicher Pfadsteigerei, über hart gefrorenen Gletscher und über einen Klettersteig gelangten wir zum Fuß des Grates.
Wie soll ich diese Tour beschreiben?
Sehr aufregend, sehr anstrengend, aber auch traumhaft schön. Man steigt auf einem wirklich nur sehr, sehr schmalen Firngrat über längere Zeit bergauf. Rechts und links geht es steil nach unten und falls man abrutscht, gibt es kein Halten mehr (ich habe nicht oft runter geschaut).
Der Firn war aber griffig und so gingen wir ohne Seil, aber hoch konzentriert. Lutz und Frank voran, ich und Bernd folgten. Plötzlich standen wir vor einem Abbruch, der überquert werden musste. Jetzt packten die Männer doch das Seil aus, da teilweise Blankeis zu sehen und es auch sehr steil war. Zwei Seillängen wurde jetzt mit Eisschrauben gesichert. Die Männer hatten auch keine großen Probleme, doch mich strengte das ununterbrochene Laufen auf den Zacken meiner Steigeisen und das Halten mit dem Pickel ganz schön an und ich war froh, als ich wieder in den normalen Gang übergehen konnte.
Glücklich erreichten wir den Piz Bianco (3995 m), doch Pause machten wir noch keine. Nun folgte der Übergang zum Piz Bernina in reiner, teilweise sehr ausgesetzter Felskletterei, die immer noch volle Konzentration verlangte. 12.30 Uhr waren wir auf dem Gipfel (4049 m) und hatten endlich Gelegenheit zur Rast.
Über den Spallagrat, einen abwechslungsreichen Fels- und Firngrat, ging es zum Abstieg. Doch auch jetzt war es keine reine Gehtour. Nach einem kleinen Fehltritt auf dem Firngrat fand ich mich zwei Meter weiter unten im Geröll wieder und war sofort wieder hellwach.
16.00 Uhr erreichten wir glücklich, aber auch müde das Rifuge Marco e Rosa (3609 m). Nach einem ausgiebigen Abendbrot wollten alle nur noch schlafen.
4.Tag: Piz Palü (3905 m)
Zu Franks Freude standen wir diesmal „erst“ 5.00 Uhr auf.
Die heutige Tour war wirklich wunderschön und nicht halb so anstrengend. Über die Bellavista-Terrasse läuft man fast immer auf gleicher Höhe zum Westgipfel und nach einem kleinen Anstieg steht man schon auf dem Hauptgipfel. Über einen Grat geht es zum Ostgipfel und zum Abstieg über den Normalweg zur Diavolezzahütte. Dieser Weg ist nicht weiter anstrengend, es waren jedoch viele aufregende Spalten zu überwinden, die Frank ungeheuer beeindruckten.
Um ca. 17.00 Uhr waren wir an unserem Ausgangspunkt, Station Morteratsch, wieder angekommen, suchten uns einen Zeltplatz und schliefen erst einmal aus.
5.Tag: Piz Badile
Auf Drängen von Bernd wollten wir (ich war dagegen, wurde aber von den Männern überstimmt) die „berühmte“ Nordkante klettern.
Nach einem ausgiebigen Frühstück, kurzer Autofahrt und einem Aufstieg von ca. 2 Stunden erreichten wir die Sasc Furä Hütte, unseren Ausgangspunkt.
Da die Hütte schon brechend voll war und immer noch Seilschaften hochkamen und teilweise biwakierten, überlegten wir, wie man das Gedränge am Grat umgehen könnte. Uns fiel nichts anderes ein, als nach dem 4.00 Uhr Wecken sofort zum Einstieg loszustürzen, Essen kann man ja beim Anstehen. Beim Einstieg immer noch Gedränge. Also Schuhe wechseln, Gurt um, Helm auf und losklettern, so schnell man kann, sichern ist später angesagt.
Nachdem wir einige Seilschaften hinter uns gelassen hatten und jetzt geordnete Verhältnisse herrschten, teilten wir uns in zwei Seilschaften. Lutz und Frank vorneweg, Bernd und ich hinterher und jetzt machte es auch Spaß. Es war eine schöne Kletterei und ich habe es nicht bereut. Frühstück gab es aber erst 11.30 Uhr auf dem Gipfel.
Der Abstieg wurde noch mal interessant, über Schotter und durch mehrfaches Abseilen gelangten wir endlich zur Gianetti-Hütte. Lutz bekam einen Sonderauftrag: ohne Gepäck über zwei Pässe zurück zur Sasc Furä Hütte, unsere Schlafsäcke einpacken, Abstieg zum Auto und uns in San Martino abholen, wohin wir restlichen drei inzwischen abgestiegen waren.
Ein Lob für Lutz, denn bei dieser Tour musste er nochmals alles geben. Alles klappte wunderbar und abends gönnten wir uns auf dem Zeltplatz eine große Pizza.
6.Tag: Rückfahrt
Da das Wetter die ganze Zeit wunderbar war und wir alles erreicht hatten, traten wir glücklich und zufrieden die Heimreise an. Auch unser Neuling Frank war mit sich und dem Urlaub sehr zufrieden, obwohl das zeitige Aufstehen mit dem Wort Urlaub nach seiner Ansicht nichts zu tun hat.