Raftingtour im Sajangebirge (2005)

Autor: Daniel Groß

Rafting im „Fernen Osten“, die Idee zu so einer Bootsfahrt ist sehr lange gereift und über ei­nige Urlaube immer weiter gediehen. Die ersten Impulse dazu gehen bis 1999 auf eine Floß­tour auf der Bia, dem späteren Ob, im Altai zurück. Damals hatten wir sehr spontan geplant und mit mäßigem Erfolg (3½ Tage Bootsbau und 1½ Tage Fahrt), aber sehr viel Spaß unseren ersten Wildwasserkontakt. Den nächsten Versuch im nassen Element haben wir 2002 am Bai­kalsee unternommen, wo wir die Quellregion der Lena befahren wollten. Auch dieser Versuch ist im eigentlichen Sinne gescheitert. Diesmal waren unsere Faltkanadier für das Wildwasser der Lena ungeeignet. Aber wir haben Blut geleckt und die Idee es noch einmal zu probieren steckte im Hinterkopf. In der Zwischenzeit habe ich Erfahrungen mit Wildwasserkajaks in den Alpen sammeln können und so noch ein paar Grundlagen gelernt. Und dieses Jahr 2005 war es dann so weit: Diesmal musste es klappen! Wir haben fast ein Jahr zuvor angefangen mögliche Ziele zu sondieren und vor allem ein Team zusammenzustellen. Die Wahl viel recht spät auf den Oberlauf des Jenisseis, als den Letzten der drei großen sibirischen Flüsse. Insge­samt waren wir 8 Leute: André Kunert, Sören Heinrich, Anja Lohse, Katrin Seifert, Matthias Schulz, Torsten Winge, Torsten Jahn und Daniel Groß. Hauptprobleme bei der Organisation der Tour bestanden zunächst in der Auswahl der Boote, dem Beschaffen von Karten & Fluss­beschreibungen und dem Materialtransport. Nach vielen unbezahlbaren Versuchen, unsere geschätzten 180kg Ausrüstung, bestehend aus Booten, Schwimmwesten, Neoprenanzügen und Paddeln, mit Logistikunternehmen nach Russland zu schicken, haben wir beschlossen die Boote vor Ort zu kaufen. Offensichtlich kann man alles in die ganze Welt verschicken, aber bei Fracht nach Russland heben die meisten Firmen die Schultern oder die Preise.
Für den Bootskauf haben wir per Internet eine Firma gefunden. Allerdings mussten wir zu­nächst 1300 € Anzahlung ohne Sicherheit nach Russland überweisen. Mangels Alterna­tive und mit dem Gedanken es geht ja durch 8, haben wir dann das Geld „blind“ mit viel Hoffnung überwiesen.
Los ging es endlich Anfang Juni 2005, nachdem wir schon zwei Monate auf Skiern im Altai unterwegs waren. Wir (Torsten, Torsten und Daniel) sind mit Zug und Bus aus dem Altai direkt von den Skiern auf die Boote umgestiegen. Mit diesem abrupten Wechsel hatten wir schon etwas Bauchschmerzen, denn einerseits wollten wir noch genügend Schnee zum Skibergsteigen und gleich darauf sollten die Flüsse wenigstens eisfrei und das ärgste Frühjahreshochwasser durch sein. Aber zunächst trafen wir uns mit den anderen 5 Bootfahrern im sommerlichen Kyzil, der Hauptstadt der autonomen Republik Tuwa. Die kleine Republik ist von den über 3000m hohen Gebirgsketten des Sajan umgeben, und grenzt im Westen an den Altai, im Os­ten an den Baikalsee und im Süden an die Mongolei. Die Region gehört politisch zu Russland und ist von mongolisch stämmigen Tuwanesen bewohnt.
Die anderen 5 hatten die Boote in Novosibirsk abgeholt und waren mit quasi unendlichen Gepäckmassen am vereinbarten Treffpunkt angekommen. Die nächsten Tage waren mit dem Organisieren von ca. 150kg Lebensmitteln, diversen Zubehör und dem Organisieren des Transportes zur mongolischen Grenze ausgefüllt. Kyzil liegt im Zentrum der Republik und ist umgeben von einer Steppenlandschaft, die wiederum von den Bergketten des Sajans eingeschlossen ist. Man Stelle sich einfach die Mongolei vor, ohne je dort gewesen zu sein, und man hat ein ungefähres Bild von Tuwa.
Nach drei Tagen haben wir uns dann mit einem Ural auf den Weg zum Ausgangsort Kungurtuk nahe der mongolischen Grenze gemacht. Das ging zunächst recht schnell auf asphaltierter Strasse 200km bis knapp vor die mongolische Grenze. Die folgenden 200km haben dann noch einmal einen kompletten Tag erfordert. Die Straßenverhältnisse sind unvorstellbar gewesen. Es ging über 2500m hohe Pässe, durch Flüsse, über Eis und Schlamm ohne Ende. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass dort ein „Auto“ fahren kann. Streckenweise sind wir einfach im 50cm tiefen Fluss gefahren, rechts, links oder unter uns noch dickes Eis. Kurz vor Erreichen des Ausgangsortes Kungurtuk haben wir noch einige andere LKW aus­graben müssen. Das läuft ungefähr so ab: LKW A (wir) findet LKW B, der stecken geblieben ist. Ein LKW C versucht gerade zu helfen. Wir ziehen LKW C aus dem Dreck und bleiben anschließend selber stecken. C und A gelingt es gemeinsam B mit Winden zu befreien. Es scheint weiter zu gehen, aber 150m später bleibt B wieder stecken und das Spiel geht von vorne los — STUNDEN!
Doch nach über 36h sind wir endlich am Einsetzpunkt angekommen. Das Wetter war frisch und aprilartig. Unmittelbar im Hintergrund waren die schneebedeckten Gipfel der Mongolei zu sehen. Der Start lag in einer großen Hochebene und die ersten 80km sollten laut unseren Informationen recht gemächlich sein. Wir nutzten diesen Abschnitt, um uns mit den Booten vertraut zu machen. Drehungen waren kein Problem, viel schwieriger war es mit den wendigen Booten Kurs zu halten. Nebenbei wurden der Umgang mit Wurfsäcken und das Schwimmen im Wildwasser trainiert. Die Schwimmübungen im eiskalten Wasser waren besonders „beliebt“. Am Abend des 2. Tages verließen wir die Hochebene und der Fluss schnitt sich in die Bergketten des Sajan ein. Die Landschaft ist von Lärchen und hohen senkrechten Felsen geprägt. Spätestens jetzt war keine Umkehr mehr möglich – die nächsten 250km mussten wir fahren!
Die Nachtlager hatten eine herrliche Stimmung. Gekocht wurde über dem Feuer, denn auf Kocher haben wir komplett verzichtet. Morgens war es eine besondere Freude die reifbedeckten Neoprenanzüge auf Temperatur zu bringen. Die ersten Tage waren sehr frisch und regenreich und ohne Neo’s wäre es nicht gegangen.
Dann kamen schon die ersten WW21 Stromschnellen, immer wieder wir haben Kehrwasser Anfahrten und Anlanden geübt. Die Kommandos waren: „Vor“, „Rechts“, „Links“ und „Stopp“, mit einem mehr oder weniger lauten „stark“, „ganz stark“ oder panischem „volle Kraft“ verbunden. Mit einem Kajak verglichen kommt die Wendigkeit der Rafts eher dem eines Ozeandampfers nahe, aber etwas größere Kehrwässer erwischt man auch. Die ersten Wildwasserpassagen hatten wir jetzt hinter uns und nach einem kurzen ruhigen Stück sollte die 16km lange Melskikaskade mit vielen WW3 und zwei WW4 Stellen folgen. Die Spannung war allen anzumerken. In dieser Kaskade sind wir sehr oft vorher angelandet, um die gängigste Durchfahrt zu erkunden. Das Team des jeweils anderen Bootes hat sich mit Wurfsäcken auf strategisch günstigen Felsen unterhalb der Stromschnelle für den Notfall positioniert. Anschließend wurde getauscht. Auf diese Weise sind wir nur sehr langsam vorwärts gekommen. Bei der Fahrt haben wir immer versucht die Kaskaden mitzuzählen und in Übereinstimmung mit unseren 3 verschiedenen Quellen an Beschreibungen und Karten zu bringen. Leider haben wir uns etwas verzählt und hielten die schwierigste 4er Passagen immer noch für die „leichte“ 3er Einstimmung – dementsprechend besorgt waren wir auch, was uns da noch bevorsteht. Diese 4er Schwelle, die wir nach über 1½h sondieren schließlich am ganz Rand umfahren haben, hat dann trotzdem noch gereicht, dass wir seitlich über einen überströmten Stein in ein Loch gefallen sind. Das Boot ist bei dem 1,5m Fall natürlich gekentert. Drei der vier Leute konnten sich wieder auf das schnell weiter treibende Boot retten und uns gelang es 500m flussabwärts das Boot wieder zurückzudrehen. Matthias hatte eine kleine Platzwunde am Kopf und wurde vom anderen Team aus der Walze gerettet und gleich medizinisch versorgt. Für das zweite Boot hat sich nach diesem Ereignis keine vollständige Mannschaft zum Befahren dieser Stelle gefunden, deshalb wurde getragen. Obwohl bis auf den Verlust eines Paddels (wir hatten zwei Reservepaddel), der topografischen Karte, einigen Kleinteilen und der Platzwunde kein Schaden entstand, war die Stimmung doch etwas gedrückt. Wir hatten an diesem Tag nur 4km geschafft, die schwierigsten Stellen sollten noch kommen und es lagen bestimmt noch 200km vor uns. Das Änderte sich schlagartig, als uns mit dem nächsten seitlichen Zufluss klar wurde, dass wir weiter waren als gedacht und zumindest in einer 4er Stelle geflippt waren.
Am Abend wurde das Ende der ersten Kaskade gefeiert. Anschließend waren erst mal 80km gemütliches dahin treiben angesagt. Kurz vor dem nächsten schwierigen Abschnitt sind wir noch an einem kleinen, angeblich verlassenem, Dorf vorbeigetrieben. Das Dorf ist im Sommer nur per Pferd und im Winter per LKW erreichbar. Es hatten sich dort ein paar sehr freundliche Russen angesiedelt, die uns mit leckeren Sachen (Fisch, Smetana …) versorgten.
Stichwort: Fische: Eigentlich hatten wir eine professionelle Ausrüstung dabei, nur leider hatten die 3 Chefangler Sören, Chicko & Hagan nie Erfolg.
Den angeblich schwierigsten Abschnitt durch den Schekicanyon haben wir ohne Probleme absolviert. Die schwierigste 4er Passage hier sind wir unvorbereitet gefahren, diesmal hatten wir zu schnell gezählt und dachten alles wäre schon vorbei. Also ONSIGHT! Aber es gab keine weiteren Flipper. Dann folgte noch eine Woche mit vereinzelten Stromschnellen, einer supernetten Familie und zum Schluss noch 2 Tage treiben durch die Steppen von Tuwa, direkt bis 100m vor das Hotel am so genannten Zentrum Asiens. Insgesamt waren es ca. 350-380km auf dem Fluss in 15 Tagen! Wenn man von dem logistischen Aufwand und dem noch ausstehenden Verkauf unserer Boote in Bisk absieht, ein herrliches Erlebnis.