Autor: Wiebke Seher
Nahezu jedes Jahr flieht Familie Seher vor der Hitze des deutschen Sommers
entweder in die Berge oder in den Hohen Norden.
In diesem Sommer ging es (doppelt hält besser), in die Berge des Hohen Nordens.
Noch dazu erst in der zweiten Augusthälfte. Zu warm war es da jedenfalls nicht, und man wird nicht braun, wenn man sich wegen Wind, Regen oder Kälte fast nie die Jacke ausziehen kann. Aber die herbstliche Temperaturen sind für eine Reise nach Schweden definitiv zu empfehlen, denn die Mücken mögen solches Wetter auch nicht sonderlich.
Mit dem Zug braucht man von Berlin aus nur ungefähr 23 Stunden nach Östersund, der größten Stadt in der mittelschwedischen Provinz Jämtland.
Im Ort Kövra, 60 km von Östersund entfernt, haben unsere schwedischen Freunde Kjell und Kerstin ihr Sommerhaus, wo wir aufgrund von sintflutartigen Regenfällen in den Bergen die erste Wochenhälfte mit Tagestouren, Preiselbeerensammeln und Pläneschmieden verbrachten. Als das Wetter schließlich etwas stabiler wurde, konnten wir uns endlich ins Fjäll aufmachen.
Unsere erste, fünftägige Wanderung führte von Vallbo durch die Bergmassive Anarisfjällen und Oviksfjällen nach Gräftan. Bis auf eine feste Unterkunft im Vandrarhem (Jugendherberge) Aradalen haben wir immer gezeltet. Dann ging es noch einmal zurück ins „Basislager“ Kövra zum Wäschewaschen und Einkaufen.
Zum Startpunkt der ersten Wanderung haben uns Kjell und Kerstin mit dem Auto gefahren und auch am Ende wieder abgeholt, bei der zweiten Tour ließen wir uns nur bis Svenstavik, am Südende des Storsjön, bringen und nahmen ab da den Bus nach Ljungdalen, ca. 130km entfernt. Von dort wanderten wir ohne Eile in 7 Tagen nach Norden bis Enafors – zuerst ein kleines Stück auf dem Pilgrimsled (der über 194km bis nach Trondheim führt), dann in nördlicher Richtung auf dem Kungsleden, von dem wir aber auf Empfehlung zweimal abwichen. Diese beiden „Geheimtipps“ waren der Ekorrpasset an der norwegischen Grenze und die Berggruppe Snasahögarna.
Von Enafors ging es schließlich per Zug, mit je zwei Tagen Aufenthalt in Östersund und Stockholm, zurück nach Hause.
Die von der Eiszeit „verschonten“ Bergmassive mit bis zu knapp 1800 m hohen Gipfeln und Gletschern waren natürlich besonders interessant. Andere Zeugen der Vergletscherung wie Trogtäler, Moränen und Flussterrassen waren durch den geringen Bewuchs wunderbar klar zu erkennen. Wir konnten jedoch auch den weitläufigen Hochflächen, über die es größtenteils ging und die unsere Gastgeber eher „langweilig“ finden, viel abgewinnen. Ende August begann dort oberhalb der Waldgrenze schon die Herbstfärbung in herrlichstem Orange und Weinrot – vor allem beim Moltebeer- und Blaubeerkraut, den Zwergweiden und arktischen Birkensträuchern.
Mit der Zeit gewöhnten wir uns an die halbzahmen Rentiere, die mehr oder weniger uninteressiert vorbeitrabten, und zückten nicht mehr sofort den Fotoapparat, wenn sie auf 20 Meter herankamen. Lemminge sind vielleicht nicht lebensmüde, haben allerdings scheinbar keinen sehr ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb – die schlaueren hoppeln davon und verstecken sich unter Grasbüscheln, wir haben aber einigen gegenübergestanden, die wie versteinert hocken blieben und nur noch laut quieken konnten. Und wer sich als Lemming unter einen Wanderschuh flüchtet, wird auch nicht lange überleben. Jedenfalls trafen wir auf den Touren wesentlich mehr Tiere als Menschen.
Lediglich der Kungsleden war stärker begangen und deshalb mehr ausgebaut (soll heißen, es gab mehr Brücken als Furten).
Die Verpflegung war kein Problem, wenn Fjällstations auf dem Weg lagen. Bei den bewirtschafteten Hütten unterscheidet man zwischen der weniger komfortablen „Stuga“ und der „Fjällstation“, wo es neben Müsli und Tee sogar frisches Obst und Gemüse zu kaufen gibt, weil die Hütte alle paar Tage mit dem Hubschrauber versorgt wird.
Übernachtet haben wir dort nie, weil wir immer gerade mittags vorbeikamen. Allerdings war es praktisch, in der Nähe der dazwischen liegenden Schutzhütten zu zelten, weil man sich bei schlechtem Wetter zum Packen und Frühstücken dort hinein verkriechen konnte.
Auch wenn das Wetter eher durchwachsen war und wir uns einen Weg durch viele sumpfige Stellen suchen mussten, die normalerweise sicher trockener sind, war es ein toller Urlaub. Wir fanden wunderschöne Zeltplätze und es war großartig, dass uns Aufstiege von wenigen Höhenmetern immer wieder einen unglaublichen Fernblick ermöglichten. Das Wandern in dieser Landschaft war ungewohnt – jedes deutsche Mittelgebirge hat steilere Wege. Wir haben für uns eine völlig neue Region als lohnendes Tourenziel entdeckt.