Ötztal (2002)

Autor: Dagmar Mulansky

Am Freitagabend in München überlegten wir (das sind Bernd und ich) noch, ob es nicht sinnvoller wäre, eine Reise nach Mallorca zu buchen, als über unsere geplante Tour ins Ötztal zu diskutieren. Denn der Wetterbericht sagte ein Tief mit ergiebigen Regenfällen voraus, doch unser Optimismus siegte.
1. Tag Anreise
Also fuhren wir nach Vent, eines der höchstgelegenen Kirchdörfer der Ostalpen, und stiegen zur Martin-Busch-Hütte (2.501 m) auf. Diese erreichten wir nach ca. 2 h auf einem leichten Wanderweg.
2. Tag
Leider schienen die Wetterprognosen zu stimmen, denn am Sonntagmorgen regnete es in Strömen und viele Wanderer verließen die Hütte zum Abstieg.
Wir wollten aber noch nicht aufgeben und begannen trotzdem unsere geplante Tour zur Kreuzspitze, die für ihre grandiose Aussicht berühmt ist. Ab 2.800 m wurde aus dem Regen starker Schneefall und bald stapften wir durch eine geschlossene Schneedecke. Diese und einsetzender Nebel machten unser Vorhaben nicht gerade einfacher. Keine Spur, keine Sicht und wir allein am Berg. Als noch starker Wind dazu kam, begannen in mir Umkehrgedanken zu kreisen. Doch Bernd blieb eisern und mit seinen Berginstinkten fand er immer den richtigen Weg. Wir waren froh, als das Gipfelkreuz (3.457 m) in Sicht kam, d. h. wir stießen fast daran ehe wir es sahen. Für eine Rast war es zu ungemütlich und wir wollten unsere Spuren noch finden, also ging es schnell zurück zur Hütte.
Nachmittags stand der Übergang zur Similaunhütte auf unserem Programm. Laut Beschreibung ein einfacher Wanderweg, bei jedem Wetter zu machen. Wir waren aber froh, dass wir diesmal eine Spur im Schnee fanden, denn so einfach war der Weg bei diesen schlechten Bedingungen nun doch nicht.
Die Similaunhütte ist eine privat bewirtschaftete Hütte auf einer Höhe von 3.019 m in Italien und als Ausgangspunkt zur Besteigung des Similaun (3.606 m) ideal gelegen.
3. Tag
Doch leider war das Wetter uns nicht wohlgesonnen, orkanartiger Wind und immer noch Schneefall hielten selbst uns diesmal von einer Besteigung ab. Der Krisenstab wurde einberufen und mit zweistimmiger Mehrheit entschieden, auf der Hütte zu warten.
Es sollte ja eigentlich unser Sommerurlaub sein und jetzt saßen wir ziemlich gelangweilt auf der Hütte und ärgerten uns, dass wir keine Schier dabei hatten, denn Schnee gab es ja genug.
Nach einem kurzen Ausflug trieb uns der Sturm schnell wieder ins Trockene zurück und wir hofften auf besseres Wetter.
4. Tag
Der Blick aus dem Fenster zeigte zwar Nebel und auch der Wind blies noch stark, doch es schneite nicht mehr und beim Frühstück war das erste Stück blauer Himmel zu sehen.
Das Wetter schien besser zu werden. Jetzt begann die große Pokerrunde auf der Hütte. Wer verliert zuerst die Nerven und ist der Dumme und legt nach drei Tagen starkem Schneefall die erste Spur zum Similaun? Plötzlich hatten alle „noch etwas Wichtiges“ zu erledigen. Wer uns kennt, weiß was folgte. Bernd hielt es nicht länger aus und entschied sich zum Spuren.
Unter allgemeiner Beobachtung machten wir uns für den Aufstieg zurecht.
Es war schon recht mühsam, man sank teilweise bis zum Knie ein, und es kostete Bernd viel Kraft. Nach 2/3 des Weges hatten uns zwei fesche Jungs eingeholt, die dann die Spitze übernahmen. Wie sich herausstellte, waren es auch zwei Sachsen aus Leipzig, und zu viert erreichten wir den Gipfel des Similaun. Dass wir ihn für uns hatten, entschädigte für die Strapazen. Beim Abstieg kamen uns dann jede Menge Seilschaften entgegen.
Da wir einen Tag Verzug hatten, ging es nach einer kurzen Rast auf den Weg zur nächsten Hütte. Die Tour führte über das Tisenjoch, in dessen unmittelbarer Nähe der berühmte „Ötzi“ gefunden wurde, und über den Hochjochferner zum Hochjochhospiz (2.412 m). Das Wetter wurde immer besser!
5. Tag
An diesem Tag, unterwegs zum Brandenburger Haus, fanden wir eine traumhafte Landschaft bei traumhaftem Wetter vor, was uns für alle vorangegangenen Schwierigkeiten entschädigte. Man läuft und läuft über ein weites Gletscherplateau, gewinnt kaum merklich an Höhe, aber irgendwie geht es weiter bergauf und plötzlich sieht man fern das Brandenburger Haus. Es steht auf einem Felsen mitten im Gletschergebiet, auf einer Höhe von 3.272 m. Die höchste Hütte der Ötztaler Alpen zeigte sich bei gleißendem Sonnenschein und phantastischem Neuschnee in vollkommener Schönheit. Dieser Kurztrip zur Hütte war eine Traumtour und ist wirklich zu empfehlen.
Mit einem Abstecher auf den Fluchtkogel (3.497 m) ging es zügig weiter über die Vernagthütte zur Breslauer Hütte (2.840 m), die als Ausgangspunkt für die Wildspitze, den mit 3.770 m höchsten Gipfel der Ötztaler Alpen, dient. Dementsprechend groß ist diese Hütte, hat fast schon Hotelcharakter, aber alles ist sehr sauber und gut organisiert.
6. Tag
Die Besteigung der Wildspitze war unsere letzte Tour und der krönende Abschluss. Das einzige Mal benötigten wir unsere Steigeisen für einen Firnhang, doch insgesamt ist es ein „gewöhnlicher Auf­stieg“, nicht beson­ders schwer und bei wunderschönem Son­nenschein ein Genuss. Nachmittags stiegen wir wieder nach Vent ab und erfuhren hier nach einem Telefonat mit der Heimat, wie schwer es Dresden getroffen hatte.
7. Tag Rückfahrt
Da es hier noch viele schöne Gipfel gibt und wir Schnee und Eis lieben, werden wir die Ötztaler Alpen wohl wieder besuchen, es war zu schön. Nach einer Übernachtung im Zelt ging es jetzt zügig nach Hause, ins geschundene Sachsen, wo andere Aufgaben auf uns warteten.